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Video-Kid

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Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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chemische Analogie zu nehmen, um so ihren Effekt auf die Körperpolitik zu bestimmen. Du erinnerst dich sicher noch an die praktische Erprobung, lieber Allrot. Damals, vor fünf Jahren, beim Mittjahr-Satyricon.«
    »Oh, Mann, klar erinnere ich mich!« sagte Allrot begeistert. »Was für eine Veranstaltung! Die Leute haben gelacht, gesungen, gelärmt und geweint, haben sich die Kleider vom Leib gerissen und offen auf der Straße gebumst … haben den Morgenstern angeheult, sind von den Korallentürmen ins Meer gesprungen … und zur Dämmerung hat in der Telset-Bucht ein Massen-Nacktbaden stattgefunden! Es war unglaublich, einfach unfaßbar!« Allrot bekam sich gar nicht mehr ein. »Du willst doch nicht etwa behaupten, daß du dafür verantwortlich gewesen bist, Scheinchen?«
    »Verantwortlich, lieber Freund?« sagte Scheinberg mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Du selbst warst eins der Sauerstoffatome! Alles hätte endlos weiterlaufen können, wenn nicht eins meiner Kohlenstoffatome mit dem Wasserstoffatom eines anderen durchgebrannt wäre und somit die Struktur in ein reines Kannabinoid verwandelt hätte … Wie dem auch sei, für mich ist die ganze Episode ein deutlicher Beweis für die Richtigkeit meiner Theorie. Das Experiment war es wert, dreiundfünfzig handverlesene Freunde zusammenzubringen. - Vielen Dank, Kreidepfeifer, das wäre für den Augenblick alles.« Scheinberg löschte mit einem Daumendruck die Zeichnung auf der Platte und reichte sie seinem Sekretär, der sich daraufhin zurückzog. »Hat irgend jemand Appetit auf einen Scherbett?«
    Wir alle wollten einen Scherbett und ließen dabei von den Hausangestellten den Tisch abräumen und die Liegestühle herausbringen. Scheinberg verteilte milde NachfrühstücksDrogen, und Allrot las uns aus einer Fortsetzung zu seinem Telset-Zyklus vor. Der Himmel verfärbte sich im Osten langsam rot, und als der leuchtende gelbe Rand der Sonne am Horizont auftauchte, begrüßten wir sie alle mit Willkommensrufen. Das sanfte Wasser des großen Golfs der Erinnerung flammte einen Moment lang golden auf und fand dann zum tiefen Saphirblau des Tageslichts.
    Das Frühstück war vorüber. Es war an der Zeit, ans Nachhausegehen zu denken.

3
     
    Mir stand nur eine Woche zur Verfügung, um mich auf die Harlekinade, unsere Form des Karnevals, vorzubereiten. Und das war das absolute Zeitminimum für eine Person meines Status'. An den meisten Tagen vergnügte ich mich damit, mich zu zeigen und meinem Ruf Geltung zu verschaffen - welcher Einheimische verspürt solche Gelüste nicht? -, aber da gab es auch Zeiten, in denen mir die endlosen, festgelegten Abläufe und rituellen Beschimpfungen über waren, und jetzt war es wieder so. Ich hatte das Gefühl, als würden mir das Fest und seine Vorbereitungen über den Kopf wachsen.
    Die Jungen können bei den Dominanzspielen nicht mit den Alten in Wettstreit treten. Dafür besitzen letztere einen zu gewaltigen Vorsprung an Selbstkontrolle, Erfahrung und Kenntnissen über menschliches Verhalten. Aber dank der Kampfkunst und der Entkriminalisierten Zone verfügen die Jungen über ihre eigene Sozialarena, in dem sie den Umgang miteinander üben und gegenseitig Grenzen abstecken können, im Grunde ist aus der Kampfkunst in vielfältiger Weise ein Mikrokosmos der größeren Welt außerhalb der Zone geworden. Und dennoch ist es unser Mikrokosmos, wo die einzelnen Jungen wenigstens die Chance haben, Macht zu erwerben. In der Welt draußen bleibt einem nichts anderes übrig, als hundert Jahre oder mehr in freundlicher, netter und unterschwelliger Sklaverei zu überstehen.
    In der kleineren, der Innenwelt, war ich durchaus eine Respektsperson. Selbstverständlich hatte ich auch meine Klientel, die Video-Kid-Partei. Ich hatte die Mitgliedschaft in ihr auf zwölf Personen beschränkt, und natürlich kam es auch hier zu einem scharfen Wettstreit: vor allem, weil meine Ehre es mir verbot, meine Jünger zu verprügeln, außer wenn sie es wirklich verdient hatten.
    Die Vorbereitungen für die Harlekinade nahmen ihre Zeit in Anspruch. Zunächst stand ich vor dem Problem meines Kostüms. Ich machte mir keine großen Umstände, mich zu verkleiden, da mein plastiklaminiertes Haar und die Schar meiner zwölf Günstlinge mich ohnehin sofort verraten würde. Also zog ich meinen normalen Kampfanzug an und tarnte mich lediglich mit einem weiten, schwarzweißen Kittel und einer glänzend schwarzen Hose mit roten Querstreifen. Das vervollständigte ich durch

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