Video-Kid
frühen Nachmittag hinausgezögert. Der eigentliche Spaß würde ohnehin kaum vor dem Dunkelwerden beginnen.
»Sie da! Der Herr in dem schwarzen Domino!« Ich sah hinab. Emery Board hatte mich angerufen. Sie gehörte zu den wenigen bedeutenden Mitgliedern von Billys Keulen. Ich erkannte sie trotz ihrer Fischmaske sofort. Sie trug das Regenbogen-Armband der Hilfspolizei. »Dieser Fremde hier möchte Ihnen vorgestellt werden.« Ein Hüne von einem Bengel, bedeckt mit einem geschmacklosen Fransenlederanzug, stand an Emerys Seite. Er trug keine Maske. Offensichtlich war er nicht von hier.
»Bist du es, der sich selbst Video-Kid nennt?« pöbelte er mich in flegelhafter Mißachtung der Etikette an. Er hätte zumindest Verwunderung über mein Kostüm zeigen müssen, auch wenn sie nur geheuchelt war. Ich richtete zwei Kameras auf ihn. »Warum sollte ich es verleugnen?« antwortete ich locker.
»Warum hüpfst du nicht aus deinem Klapperkasten und redest mit mir von Mann zu Mann?« forderte er mich auf. »Ich habe es nicht gern, wenn mir der Nacken vom vielen Hochgucken weh tut.« Schockiertes Gekicher ertönte aus der rasch zunehmenden Menge der Neugierigen.
»Aber gern doch«, sagte ich, sprang aus dem Palankin und riß ihn mit einem Tritt an die Brust von den Füßen.
Er rollte mit dem Tritt zurück und kam erstaunlich schnell wieder hoch. Mit seinen rauhen, groben Händen klopfte er sich die zu ihm passende Hinterwäldlerkleidung ab.
»Du bildest dir wohl ganz schön was auf deine Füße ein«, sagte er mühsam beherrscht. »Aber in Juckingen denken wir nicht allzugut über Fußhelden.«
»In Juckingen wird, so will es mir scheinen, überhaupt nicht viel gedacht«, bemerkte ich und erhielt dafür dankbaren Applaus von den maskierten Umstehenden. Meine Kameras nahmen ihre Position für den Kampf ein. Die Sechs von der Video-Kid-Partei setzten die Sänfte mit einem Seufzer der Erleichterung ab und setzten sich darauf. Unter ihren Masken grinsten sie.
»Ich habe dich schon früher kämpfen sehen, aber das, was du tust, kann ich nicht einen Kampf nennen«, sagte der Mann. »Du spürst keinen Schmerz dabei. Du wehrst alles mit deinen Stöcken ab, aber das ist kein Zweikampf zwischen Männern, sondern das, was man in einer Operette sieht. Nichts als Schwindel, sage ich! Ich bin viel mehr Mann als du, und das werde ich dir jetzt beweisen!«
Die Menge um uns herum war begeistert. Respektlose Bemerkungen kamen von ihren lüsternen Lippen. »Dann zeig uns doch einmal deine Männlichkeit!« - »Küß ihn, Kid, aber an der richtigen Stelle!« - »Nun mach schon, Lederner! Zeig ihm, was Sache ist!«
Ich hob eine Hand und verschaffte mir so Ruhe. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich überall Kameras, und das ärgerte mich. Wenn ich etwas hasse, dann sind es Raubkopien. »Was schlägst du also vor, Mann aus Juckingen?« wollte ich von ihm wissen.
»Schlag für Schlag«, sagte er. »Mann gegen Mann. Keine Waffen. Kein Ausweichen und keine Verteidigungsposition. Wer von uns beiden als letzter wieder aufsteht, hat verloren. So etwas nenne ich einen ehrlichen Kampf.«
Er wußte so gut wie ich, daß diese Bedingungen unannehmbar waren. Gerade meine Geschicklichkeit beim Ausweichen, bei Verteidigungspositionen und mit Abblockschlägen ermöglichte es mir, meinen Mangel an Körpergröße und -masse auszugleichen. »Gut«, sagte ich, »du schlägst zuerst.« Ich ließ meinen rot und weiß gestreiften Nunchuck fallen und legte die Hände auf den Rücken.
Wie ich erwartet hatte, zielte er auf mein Kinn. Als seine Faust näher kam, beugte ich mich ein wenig vor und öffnete den Mund. Er schlug mir in die Zähne. Für jeden anderen wäre dieser Treffer fatal gewesen, aber meine Zähne sind eine mehr als standhafte Erbschaft meines guten, alten Vaters. Sie waren natürlich falsch, in Zahnform gebrachte Keramik über einem kristallisierten Metallkern, fest verankert in einer der dünnen Platten, mit denen ich meinen Schädel gepanzert hatte. Der Fremde aus Juckingen schrie auf und zog rasch die Hand zurück, von der Blut tropfte. Ich lächelte gehässig, trat rasch vor und hieb ihm mit dem Außenrist meiner Hand in den Nacken. Würgend ging er zu Boden und verlor bald darauf das Bewußtsein. Ein garstiger Schlag, aber schließlich war er ein garstiger Mann.
Leise sagte ich zu Emery: »Hol ihm einen Arzt und beeil dich. Ich komme für alle Kosten auf.« Ein dunkler Fleck zeigte sich auf dem Nacken des Mannes; wahrscheinlich arterielle
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