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Video-Kid

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Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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blutbeflecktes Taschentuch. Dann war da noch eine sonderbar lackierte Dose, die bis an den Rand mit kleinen, hakenförmigen Metallnadeln gefüllt war. Wir hatten keine Ahnung, was man damit anfangen konnte.
    Schließlich fanden wir hinter einem verschmutzten Vorhang eine schwere Holztruhe. Sie enthielt bergeweise Kleider: miefige und zerrissene antike Stücke. Viele waren mit den Jahren gebleicht, andere hatten sich in ihre Bestandteile aufgelöst. Wir schleppten die Truhe an Deck.
    Oben angekommen, bot ich Moses Moses an, ihn am Steuer abzulösen, aber er versicherte mir mit all seiner Liebenswürdigkeit, noch lange nicht müde zu sein. Armitrage und ich zogen uns aus und probierten die alten Kleidungsstücke an. Ich sah, wie Annas Augen sich weiteten, als sie zum ersten Mal einen Vielgeschlechtler nackt sah. Selbst der alte Moses Moses schien, gelinde gesagt, etwas verblüfft, als er Armitrages nach chirurgischen Eingriffen so reichhaltig ausgestatteten Körper ohne Kleidung erblickte.
    Leider waren so gut wie alle Stücke zu groß für mich, was einigen Groll in mir auslöste. Armitrage hingegen paßten sie alle ausgezeichnet. Besonders gut stand ihm ein schwarzer Einteiler mit offenem Kragen. In seiner dunklen Farbe wirkte er extravagant, ganz zu schweigen von den unzähligen weichen und schwarzen, gummiartigen Haken. Armitrage setzte den dazugehörigen breitkrempigen Hut auf und zog dazu schwarze Stulpenstiefel mit viereckigem Fuß an. Es war unmöglich, seinem Charme zu widerstehen, als er mit kräftigen und zierlichen Bewegungen sein neues Kostüm vorführte und obendrein mit seiner Keule einige Kampfbewegungen demonstrierte. In meine Bewunderung mischte sich Neid. »Armitrage, du begeisterst uns alle!« rief ich. »So eine antike Majestät! Ich schwöre, du rührst mein Herz!« Ich umarmte ihn. Geschmeichelt und erfreut erwiderte er die Umarmung und küßte mich auf die Stirn. »Wie wunderbar ist es doch, bewundert zu werden, und das von einem verständigen Publikum«, sagte er. »Aber diese Stücke sind wirklich superb, nicht wahr? Anna, willst du nicht auch etwas anprobieren? Du wirst diesen alten weißen Sack doch sicher nicht mehr sehen können.«
    Anna preßte die Arme an den Leib. »Das ist die Tracht meines Ordens«, entgegnete sie.
    »Aber die trägst du doch jetzt schon seit einigen Tagen! Sieh dieses Stück hier, darin sähst du bestimmt entzückend aus?« Armitrage zog ein knöchellanges, glattes Gewand, reich besetzt mit glitzernden, rosafarbenen Plättchen, vom Boden der Truhe.
    »Es würde deine ohnehin schon schönen Augen noch mehr zur Geltung bringen.« Er strich mit den Fingern über den glatten, weichen Stoff an der Innenseite. »Ah, dieses Material ist köstlich. Stell dir nur einmal diese berückende Wohltat auf deiner Haut vor. Hier, faß es einmal an.« Er reichte ihr das Stück.
    »Der Stoff ist unbefriedigend dünn«, sagte sie, hielt das Gewand hoch und runzelte die Stirn. »Wirklich, ich habe keinen Bedarf, meinen Leib in einem solchen Gewand zur Schau zu tragen. So etwas würde Gedanken und Wünsche hervorrufen, denen nachzukommen ich nicht das geringste Interesse verspüre.«
    Armitrage strich über den Rand seines breitkrempigen Hutes. »Welch rigorose Selbstdisziplin«, mokierte er sich. »Bitte, dann ziehe ich es eben selbst an.« Und das tat er. Das Gewand stand ihm traumhaft.
    Anna störte Armitrages anmutiges und zweideutiges Herumposieren sichtlich. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit lieber den alten Seekarten zu, die wir gefunden hatten. »Vielleicht sollten wir uns einmal daranmachen, einen Kurs festzulegen«, sagte sie. »Wo sollen wir deiner Meinung nach hin, Kid?«
    Ich betrachtete die Karten im Schein der Laterne und rieb mir das Kinn. »Ein Glück, daß wir auch ein Echolot an Bord haben«, sagte ich. »Die Riffe sind um viele Kilometer angewachsen, seit diese Karten veröffentlicht wurden. Mal sehen. Ich denke, es wäre das beste, wir halten Kurs auf Juckingen. Das ist die einzige größere Stadt auf dem Kontinent. Waldtrotz liegt, verdammt noch mal, auf der anderen Seite des Planeten, und Eros ist leider ständig auf der Wanderschaft, so daß es für uns von vornherein ausfällt. Für uns ist es sicherer, so lange wie möglich auf dem Wasser zu bleiben, statt über Land zu reisen. Zu unserem Kurs: Wir könnten nach Norden fahren und den Golf durch eine dieser Lücken zwischen den Atollen verlassen, durch die Straße des Umstands. Dann befinden wir uns auf der

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