Video-Kid
Pistole in der Hand. »Du hast fast zehn Stunden geschlafen.«
Ich suchte meine Kleider zusammen. Moses Moses, der sich gerade erst vor einer Stunde hingelegt hatte, öffnete verklebte Augen und trug einen bemitleidenswerten Ausdruck von Hilflosigkeit auf dem bärtigen Gesicht. Alte Leute leiden unmittelbar nach dem Erwachen oft an einer solchen Desorientiertheit. Ihr Gehirn ist noch zu sehr von Träumen angefüllt. »Was ist denn los?« fragte er zerstreut.
»Ein Gleiter«, sagte Armitrage. »Anna hat ihn entdeckt, als ich gerade auf dem Deck ein Nickerchen machte.« Ich sah, daß Armitrages Haut von dem Schutzöl glänzte, das er im Sonnenlicht einrieb. Damit erhielt er sich seine milchweiße Haut. »Ich dachte, es wäre wohl besser, euch zu wecken. Vielleicht bedeutet der Gleiter Ärger.«
»Ich sehe nach, Präsident«, erklärte ich Moses Moses. »Du legst dich besser wieder hin. Für heute nacht brauchen wir dich als Steuermann.«
»Nein«, sagte Moses Moses, »ich kann jetzt sowieso nicht mehr einschlafen.« Er zog sich seinen Nadelstreifen-Anzug an. Erst jetzt fiel mir auf, daß er in einer Art weißem Einteiler geschlafen hatte. Seine Arme und Beine waren bemerkenswert behaart, in der gleichen rotbraunen Farbe wie sein Bart.
Mit einer Fingerbewegung aktivierte ich meine Kameras auf höchste Einsatzbereitschaft, schlüpfte in Hose und Schuhe, zog mir die Jacke an und legte den Nunchuck um den Hals. Zusammen mit Armitrage begab ich mich aufs Deck und verzog das Gesicht, als ich das helle, gelbe Sonnenlicht erblickte. Mit einer Hand schützte ich meine Augen. Die Finger waren nicht mehr geschwollen. »Wo ist er?« fragte ich Sanktanna. Sie stand am Steuerrad.
Sie zeigte nur darauf, sagte aber kein Wort. Ich sah einen schwarzen Fleck, der sich vor einer gewaltigen, morgendlichen Kumuluswolke abzeichnete. Ein schwarzes Segelflugzeug mit extrem langen und dünnen Flügeln. Während ich es beobachtete, stieg es hoch und ließ sich mit rasiermesserscharfer Präzision im richtigen Augenblick von einem Thermalwind erfassen.
Armitrage sah mich ernst an. »Hier, probier den mal«, sagte er und reichte mir einen roten Feldstecher aus Plastik.
»Wo hast du den denn aufgetrieben?«
»Unter meiner Koje. Nun sieh schon durch. Allerdings wird es dir nicht gefallen, was du dort entdeckst.«
Ich sah ihn verwundert an und hielt dann den Feldstecher an die Augen. Der Gleiter legte sich gerade in Seitenlage, und ich sah den stilisierten weißen Totenkopf auf den schwarzen Flügeln. »Der Drachen«, sagte ich und setzte den Feldstecher ab. »Das Segelflugzeug von Soforttod.«
»Ja, ich habe es auch erkannt«, sagte Armitrage nur. »Soforttod ist ein guter Pilot, was?«
»Er ist der beste«, sagte ich. »Der beste in Telset.« Ich reichte den Feldstecher an Moses Moses weiter, der inzwischen zu uns getreten war. Sein Bart war vom Liegen immer noch zerdrückt. Der Präsident warf einen kurzen Blick auf den Gleiter und drehte sich dann in eine andere Richtung, um dort die blaßweiße Glasblase einer fliegenden Insel in Augenschein zu nehmen. Auf die Entfernung hin wirkte sie nicht groß, aber man konnte noch den Schwanz von Erdreich ausmachen, das sich beständig von ihren Wurzeln löste. Moses Moses' Gelassenheit beruhigte auch uns.
»Was hältst du davon?« fragte Armitrage.
»Er kommt, um uns zu töten«, sagte ich. »Wahrscheinlich mit einer Bombe. Für seinen Geschmack wäre das wohl ›sofort‹ genug, was?«
Armitrage nickte. »Ja. Wir sind etwa sechzig Kilometer von der Küste entfernt. Wenn er das Boot versenkt, müssen wir wohl ertrinken.«
»Dazu muß er aber ziemlich nahe an uns herankommen«, sagte ich und hob den Nunchuck. »Vielleicht kommt er sogar in die Reichweite meines Gewehrs.« Ich versuchte, meiner Stimme so etwas wie hoffnungsfrohe Rachsucht zu verleihen, aber es wollte mir nicht gelingen. Das Gewehr hatte eine sehr kurze Reichweite.
»Ich versuche, ihn mit der Pistole zu erwischen«, meinte Armitrage. »Möglicherweise habe ich Glück und treffe ihn. Ihr anderen solltet euch lieber in die Kabine zurückziehen, für den Fall, daß er uns mit einem Gewehr beschießt. Nicht ausgeschlossen, daß er das tut. Dadurch würde er eine viel bessere Show bieten. Und eleganter wäre es sowieso.«
»Ich nehme an, diese Show ist für ein sehr exklusives Publikum gedacht«, erklärte Moses Moses trocken. »Meiner Ansicht nach legt die Kabale mehr Wert auf die Wirkung als auf die Ästhetik.«
»Laß mich
Weitere Kostenlose Bücher