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Video-Kid

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Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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vielen Dank.«
    Ich verschloß den Beutel sorgfältig und steckte ihn weg. Nach einem Moment sagte ich: »Glaubt ihr, es ist die Mühe wert, wenn wir versuchen, bis zur Küste zu schwimmen?«
    Moses Moses zuckte die Achseln. »Ich denke, ich ziehe die Rochen der Erschöpfung und dem Ertrinken vor. Aber ich diskutiere gern über andere Vorschläge.«
    »Vielleicht sollten wir es versuchen«, meinte Anna. »Es wäre moralisch besser, kämpfend unterzugehen.«
    »Die Strömung treibt uns nach Norden«, erklärte Moses. »Ich bin dafür, auf die bequemste Weise zu sterben. Wer weiß schon, was uns an Land erwartet?«
    Ich sah hinauf zu meinen sechs Kameras, die in unerschütterlicher Treue über mir kreisten. »Ich wünschte, ich hätte eine Möglichkeit, meine letzten Bänder unters Volk zu bringen«, sagte ich. »Leider bleiben die Kameras immer bei mir. Zu schade. Wißt ihr, ich bedauere das bereits mehr als den Tod. Immerhin bin ich schon einmal gestorben.«
    »Wirklich?« erkundigte sich Moses Moses. »Eine Persönlichkeitsübertragung?« Ich nickte, und er lächelte. »Das habe ich mir doch gleich gedacht. Ich habe dein wahres Alter daran erkannt, wie du dich bewegst. So etwas kann man nicht vertuschen.«
    »Du bist trotzdem der erste, dem das aufgefallen ist.«
    »Möglich«, meinte Moses. »Vielleicht haben die anderen es vorgezogen, nichts davon zu erwähnen. Immerhin ist es deine Angelegenheit, nicht ihre.«
    »Das stimmt«, sagte ich. Moses Moses verstand den Wink. Er breitete die Arme aus. Die behaarten Hände waren leicht geballt. »Seht nur diese Wolken!« rief er bewundernd. »Ihre unvorstellbare Höhe hat mich immer wieder aufs neue erstaunt. Diese ungeheure Atmosphärenschicht hier, und wie lang auf Träumerei die Tage sind. Dagegen kommt Niwlind nicht an. Aber ihr Kinder könnt euch das wohl kaum vorstellen.«
    »Ich schon«, sagte Sanktanna, »ich bin nämlich auf Niwlind geboren. Aber du hast trotzdem recht, die Wolken hier sind wunderbar. So rein und so weiß. Die Wolken auf Niwlind sind klobig und grau. Über den Mooren zerreißt sie der Wind, klopft sie platt und zerhackt sie. Wie Blech, das man mit einem Hammer bearbeitet hat. Ständig und überall kann man auf Niwlind den Wind hören, den rauhen, unfreundlichen Wind. Hier ist es so anders.« Sie zitterte und wischte sich mit einer Hand nasse Haare aus der Stirn.
    »Ich habe Niwlind seit … mal überlegen … seit gut sechshundert Jahren nicht mehr gesehen«, sagte Moses. »So viele Jahrhunderte. Zwei ganze Leben lang. Weiß einer von euch, ob über Niwlind immer noch ein Direktorat herrscht?«
    »Nein«, sagte Anna. »Das Direktorat besteht zwar noch, nimmt aber nur repräsentative und zeremonielle Aufgaben wahr. Die eigentliche Macht liegt heute in den Händen des Generalbevollmächtigten. Gegenwärtig ist das eine Frau namens Johanna Vomkreuz, aber sie ist im Grunde nur das Werkzeug einer anderen Frau, und die heißt Zanks Pritzgift Tanglin.«
    Moses Moses nickte. »Das überrascht wohl niemanden. Zu allen Zeiten hat es eine Macht hinter und neben dem Thron gegeben. Irgendein verdammter Höfling, den man bestechen oder erpressen mußte, oder mit ihm ins Bett gehen. Alles ist so verderbt auf Niwlind. So verrottet durch Überlebtheit und Trägheit. Ich hatte mir einmal vorgenommen, einen neuen Anfang zu machen. Auf einem neuen Planeten eine neue und saubere Gesellschaft zu gründen, mit neuen Idealen und Postulaten, mit einer neuen Moral. Ich wollte all diesen stinkenden Müll hinfortfegen, der das Leben der Menschen verändert und beeinträchtigt, um ihnen die Chance zu geben, zu sich selbst zu finden, sich selbst auszudrücken und sich selbst zu erkennen. Ich wollte, daß sich niemand mehr vor einem anderen lebenden Menschen verneigen mußte …« Seine Worte kamen mir irgendwie bekannt vor. Dann erkannte ich sie als Sätze aus der Präambel unserer Verfassung wieder. »Aber es entwickelt sich nie so, wie man es sich vorstellt. Gerade, wenn man denkt, jetzt ist es soweit, zerrinnt einem alles zwischen den Fingern. Und die Menschen wollen einfach nicht begreifen! Man zeigt auf die Sonne, und sie verbringen Jahre damit, über die Haltung deines Zeigefingers zu debattieren. Jahrelang baut man an einem Monument, und wenn man den letzten Stein setzt, rutscht das Fundament weg!« Kurz überzog titanischer Ärger sein Gesicht, doch dann begann er in einem unerwarteten Sinneswandel zu lachen und sich über sich selbst lustig zu machen. »Höre sich

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