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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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ertragen, wenn mir mein Wille nicht erfüllt wurde. Ich erklärte Louise, ich sei für große Dinge vorherbestimmt und ließe mich nicht durch so etwas Nichtswürdiges und Kleinliches wie Bürogezänk von meinen Vorhaben abbringen. Und wenn die Regierung selbst sich mir in den Weg stellen wollte, würde ich sie über den Haufen rennen. Und wenn die Gesellschaft mir den Weg verbauen wollte, dann würde ich eben eine neue Gesellschaft aufbauen. Die gute Louise, sie hat sich bei meinen Worten vor Lachen gar nicht mehr eingekriegt. Und ihr Gelächter verwundete mich tief. Ich habe sie in gröbster Weise beleidigt, und vielleicht bin ich auch handgreiflich geworden. Daraufhin hat sie unsere Beziehung an Ort und Stelle beendet, indem sie mich feuerte.
    Die Jahre danach waren ziemlich hart für mich. Hunderte von Türen wurden mir vor der Nase zugeschlagen. Nirgendwo in der Verwaltung konnte ich mehr unterkommen. Meine Ersparnisse gingen zur Neige … Es war nicht viel, denn das meiste Geld hatte ich ausgegeben, um Louise Geschenke zu kaufen. Plötzlich stand ich mittellos da. Ich geriet unter die Armen, und zum erstenmal erlebte ich hautnah mit, wie öde, verstrickt und unmenschlich das Leben für die Randgruppen unserer Gesellschaft war. Nicht selten verhungerte der eine oder andere von ihnen buchstäblich, und die verdammte motorisierte Polizei schien überall zugleich zu sein und nichts anderes zu tun zu haben, als die Armen zu behelligen. Die Konföderation der Welten rief das niwlindische Direktorat deswegen zur Ordnung. Planetare Regierungen haben dafür Sorge zu tragen, daß ihre Völker nicht verhungern. Aber was scherte dies das Direktorat? Es war der Ansicht - und das ist jetzt nicht übertrieben -, es sei ein böswilliges Gerücht, daß bei ihm Menschen verhungerten. Natürlich hat sich nie jemand von der Regierung oder Verwaltung persönlich von den Zuständen überzeugt. Dazu hatten sie ja auch keine Zeit. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Posten zu behalten und gegen die Konkurrenzen zu intrigieren. Unser aller Leben war genormt. Und in gewisser Weise verlief das Leben der Mächtigen genauso rigide und gleichförmig wie das der Armen.
    Allmählich dämmerte es mir, daß unsere ganze Gesellschaft erstickte. Wir hatten uns selbst in Kästen gesperrt und konnten uns nur daraus befreien, wenn wir den Deckel aufstießen.
    Als ich dreißig wurde, war aus mir ein radikaler Systemveränderer geworden.« Moses hielt inne und schien nachzudenken. »Dreißig, ja, das ist ein gutes Alter. Stellt euch vor, wie es ist, wenn man endlich dreißig wird. Und stellt euch dann vor, wie es ist, wenn man zwölfmal dreißig geworden ist. Versteht ihr es jetzt? Nun wißt ihr, wie es ist, in meinem Alter zu sein. Ich bin dreihundertundsiebzig Jahre alt.« Er lächelte versonnen und fuhr dann mit seiner Geschichte fort.
    »Zu jener Zeit hatte ich die Enttäuschung mit Louise endgültig überwunden. Aber sie war der Katalysator für meine Entwicklung. Und ich hatte nicht vergessen, was ich ihr damals erzählt hatte.
    Ich hatte gelernt, mein Temperament zu zügeln und meine Gefühle zu verbergen. Mir war klargeworden, daß ich ohne rigorose Selbstdisziplin nie auch nur in die Nähe eines Erfolges rücken würde. Ich überlegte, ob ich mich nicht in der Akademie einschreiben sollte, aber dann wurde mir klar, daß sie dort keine Vorlesungen über Revolutionstheorie und -praxis hielten.
    Ich nahm die unterschiedlichsten Jobs an, während ich mich in der wenigen Freizeit darum bemühte, mich weiterzubilden. Unerbittlich zog mich die größte Informationsquelle unseres Planeten an: die Konsularbibliothek der Konföderationsvertretung, die sich damals in der Stadt Miclo befand. Kennst du diese Stadt, Sanktanna?«
    »Ich bin nie dort gewesen«, sagte sie.
    Moses zuckte die Achseln. »Planeten sind eben sehr groß. In Miclo fand ich einen Job bei einer Industriedesign-Agentur. Wir entwickelten dort Zifferblätter für alte Uhren und Fronten für Digitalanzeiger. Nun konnte ich zum ersten Mal unter Beweis stellen, wie gut ich mich zu verstellen vermochte. Ich schluckte meine Wünsche hinunter und zwang mich fünf Jahr lang dazu, alles Denken und Streben der Arbeit zu widmen, die ich tief im Herzen leidenschaftlich haßte. Mein Leben bestand nur noch aus eiserner Disziplin und Rücksichtslosigkeit. Ohne den geringsten Skrupel betrog ich meine Kollegen und intrigierte gegen sie. Ich lebte in einer spartanischen Kammer, hatte keine

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