Video-Kid
in der Eininsel. Damals hat der Tod seine Chance bekommen, und er hat sie verpaßt. Seitdem bin ich zum Leben fest entschlossen. Wenn die Rochen kommen, bin ich bereit, gegen sie zu kämpfen! Das wird sicher ein Schauspiel.«
Er lachte in sich hinein, schien sich ein wenig über sich selbst lustig zu machen. Aber es war keine Bitterkeit in seinem Lachen. »Damit habe ich genug erzählt. Wer ist der nächste?«
Anna und ich sahen uns an. Sonnenbrand war auf ihrem sommersprossigen Gesicht. Jetzt war es Mittag, und die Verbrennungen würden sich verschlimmern, wenn wir bis zum Abend überleben sollten; noch neun Stunden bis dahin. »Ich erzähle meine Geschichte«, sagte Anna.
»Gut«, sagte ich und sah nach oben. Ein Schwarm dunkler Vögel mit langen Flügeln flog in V-Formation nach Westen. Vielleicht würde eine der riesigen und dicken weißen Donnerwolken über uns ziehen und uns Schatten spenden. Vielleicht würde es auch auf uns hinabregnen. Obwohl wir bis zum Hals im Wasser steckten, bekam ich Durst. Ich versuchte, nicht daran zu denken. Der Hunger war ohnehin schlimmer. Wie zu erwarten, begannen die Nachwirkungen des Smuff.
8
Anna sagte: »Ich glaube an Gott als den Katalysator des Lebens, als das Herz des Universums und als die Essenz des Guten. Ich glaube an das Gute und an das Böse, und ich habe gelobt, das erstere zu unterstützen und das zweite zu vernichten. Ich glaube an die Existenz der Seele, die in Materie gefangen ist, sich jedoch von dieser unterscheidet und ihr überlegen ist. Gott hat der Materie seinen Odem eingeblasen, denn Gott ist reine Seele, und die Seelen aller lebenden Wesen kehren dereinst in Gott zurück, wenn ihre materielle Hülle im Tod vergangen ist. Das Böse erscheint, wenn die reine und leidenschaftslose Seele von materieller Lust und Gier vergiftet wird. Es gibt nur eine Errettung davon: Die Seele muß durch ein Fegefeuer, bevor sie in Gott zurückkehren kann. Alle Formen des Lebens besitzen Gutes, denn sie kommen ausnahmslos von Gott. Daher ist alles Leben geheiligt und darf nicht vorsätzlich vernichtet werden. So ist der Glaube meiner Kirche, so ist mein Glaube, und danach richtet sich mein Leben aus.«
Nach dieser befremdlichen Erklärung schwieg sie eine so lange Zeit, daß ich schon glaubte, dies sei ihre ganze Geschichte. Das machte mich ärgerlich und verblüffte mich zugleich. »War das alles?« fragte ich höhnisch. »War das die ganze Geschichte deines Lebens?«
»Das war der Kern«, sagte sie. »Der Rest sind lediglich ein paar persönliche Kleinigkeiten.«
»Nun ja«, sagte Moses Moses mit vornehm zurückgehaltener Belustigung, »vielleicht solltest du dich dazu durchringen, uns einige dieser Kleinigkeiten zu erzählen. Und wenn es dir leichter fällt, beginne eben mit der Geschichte deiner Kirche.«
»Die Geschichte meiner Kirche ist die Geschichte meines Lebens«, erklärte Sanktanna mit einer damenhaften Erhabenheit, die angesichts ihrer Stellung im Wasser zumindest ungewöhnlich wirkte. »Ich wurde in die Kirche hineingeboren, denn ich bin die Urenkelin der Mysteriarchin. Sie ist die Führerin unserer Kirche, und ihr Vater ist unser größter Lehrer, der weiseste Mensch, der je gelebt hat. Er ist fünfhundert Jahre alt.«
»Unmöglich«, sagten Moses Moses und ich wie aus einem Mund.
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist die reine Wahrheit.«
»Dann hat er eine Gedächtnislöschung hinter sich, wahrscheinlich sogar mehrere«, sagte ich. »Woher willst du überhaupt wissen, daß er schon so alt ist? Welchen Beweis kann er dafür vorlegen?«
»Kirchenführer lügen niemals«, erklärte Anna beleidigt. »Manchmal ziehen sie es vor, auf Fragen mit Schweigen zu antworten, aber sie lügen nie. Männer und Frauen sind nicht dazu geboren, sich selbst zu vernichten, alles andere ist eine Lüge des Bösen. Diejenigen, die außerhalb des Glaubens stehen, sterben früh, denn sie richten sich selbst mit ihrer inneren Zerrissenheit und Verzweiflung zugrunde. Ihr Leben ist ohne Ziel. Sie wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Sie haben in ihrem Leben keine größeren Ziele als die Befriedigung ihrer Eitelkeit. Ihr Leben ist leer und nichtig! Sie sind hohl, ohne Substanz und nur dem Augenblick zugetan! Sie haben nichts, für das zu leben sich lohnt! Sie besitzen nichts, das über ihr eigenes kümmerliches Leben hinausgeht! Ist es da ein Wunder, wenn sie sterben? Nein. Das Wunder besteht darin, daß sie überhaupt so lange ihr Dasein fristen. Gott hat dem Leben
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