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Video-Kid

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Titel: Video-Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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muß hierbleiben. Etwas ruft mich an diesen Ort, und ich bin geheißen, diesen Ruf, so gut ich es vermag, zu beantworten.‹ Mein Onkel ließ mich allein und kehrte in den Hochaltar zurück.«
    »Aber Moas sind doch gefährlich«, wandte Moses Moses ein. »Sie sind Fleischfresser. Ich habe im Zoo gesehen, womit sie gefüttert werden. Ihre großen Schnäbel können einem Mann den Arm abreißen.«
    Anna nickte. »Das stimmt. Ich habe selbst gesehen, wie sie in der Zeit eines Atemzugs Moorziegen in Stücke gerissen haben. Aber ich hatte keine Angst, obwohl mir die Knie etwas zitterten. Ich zog mir die Kapuze über den Kopf, band den grauen Umhang am Hals fest, streifte mir die dunklen Handschuhe über und stützte mich auf meinen Stab aus grauem Steinholz. Lange, lange Zeit sah ich auf das große Rad mit den acht Speichen.
    Die Sonne ging unter, und es wurde kälter. Als der erste blasse Stern am östlichen Horizont aufging, erschienen die Moas: Große männliche Tiere mit blauen Kehllappen, große weibliche Tiere mit roten Kehllappen und kleine Moahühner, die mir gerade bis ans Knie reichten. Sie kamen in völligem Schweigen, denn Moas sind stumm. Ich habe mich nicht aufgeregt, und keines von den Tieren schien mich zu bemerken. Und dann begann ihr Tanz. Sie rannten im Kreis herum und hüpften an den Speichen entlang. Sie hoben und senkten die schweren Köpfe, breiteten die Flügel aus und sprangen in die Luft. Sie tanzten, bis es völlig dunkel war und ich sie nicht mehr sehen konnte, sondern nur noch das schwere Stampfen ihrer Füße auf der Erde hörte. Nach einer Weile wurden diese Geräusche immer leiser. Ich setzte mich ins Gras, zog die Knie an die Brust, wickelte mich in den Umhang und schlief ein. Ich träumte, ich hätte die Gestalt eines Moas und tanzte mit ihnen. Am nächsten Morgen wanderte ich zu den Treibhäusern zurück und brauchte dafür den ganzen Tag. Am Abend hatte ich Krämpfe und Schmerzen im Bauch und bekam zum ersten Mal meine Blutung.
    Danach bin ich noch oft zum Tanzgrund gewandert, habe die Moas aber nie mehr dort gesehen. Als ich fünfzehn wurde, kamen Bergwerks-Ingenieure zum Hochaltar, und alle illegalen Bewohner flohen in die Tunnel. Jedermann auf Niwlind umging die Gesetze zur Bevölkerungskontrolle, und bevor Rominuald Tanglin die Illegalen legitimierte, hätte jeder von uns festgesetzt werden können. Und man hätte unsere Eltern schwer bestraft. Schlimmer noch, den Illegalen stand kein Gesetzesschutz zu: Jeder Legale durfte uns berauben, schlagen oder sexuell mißbrauchen, und wir konnten es danach nicht einmal wagen, zur Polizei zu gehen. Natürlich brauchten wir so etwas im Hochaltar nicht zu befürchten. Unsere Kirchenfamilie bewies darin wie in vielem anderen auch Zucht und Mäßigung. Wir kannten einander, und niemand tolerierte ein Verbrechen in unseren Reihen. Aber die Ingenieure und die ihnen folgenden Bergarbeiter waren furchtbar. Sie wären wohl nie am Hochaltar aufgetaucht, wenn die Träumerei-Emigration uns nicht so viel Metallerz genommen hätte. Die andere Seite der Medaille, Moses Moses; eine eurer Hinterlassenschaften. Aber ich kann es dir nicht vorwerfen, wenn du kein Mittel gescheut hast, um der niwlindischen Korruption zu entkommen. Die Polizei hatte in den Reihen der Bergleute ihre Agenten, denn dem Direktor behagte es überhaupt nicht, im Hochland eine mächtige Religionsgemeinschaft mit einer eigenen Stadt zu wissen. Also plagte man uns mit Scharen von Volkszählern.
    Aber wir waren nicht hilflos. Das Recht war auf unserer Seite. Wir wandten uns an Rominuald Tanglin um Hilfe und schlugen uns mit allem, was wir aufbieten konnten, auf seine Seite. Über ganz Niwlind verstreut lebten unsere Kirchenbrüder und - schwestern, obwohl natürlich der Hochaltar unsere heilige Stadt und das Zentrum unserer Bewegung war.
    Ich persönlich spielte dabei selbstredend nur eine untergeordnete Rolle. Als die Kontroverse mit den Minenarbeitern begann, war ich noch jung. Aber ich habe, wie wir alle, die Auseinandersetzung aufmerksam verfolgt. Oh, wir haßten die Bergarbeiter, die das Laster und die Gewalt in unser Tal brachten und sich darüber hinaus daranmachten, Kirchenmitglieder für ihre sexuellen Gelüste zu mißbrauchen. Wir bemühten uns, sie zu vertreiben, aber der Bedarf an Metall war größer, und man überstimmte unseren Antrag im Rat.
    Ich war immer noch von den Moas fasziniert. Als die Illegalen legitimiert wurden und ich meine eigene Identität erhielt, konnte ich

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