Video-Kid
das rechte auf dem linken. Und die Mysteriarchin hatte sich genauso hingesetzt! Das war ein so ungewöhnlicher Anblick, daß ich erst einmal schluckte. Und dann sagte er mit dieser unnachahmlichen Stimme, die ich schon tausendmal gehört hatte: »Ist sie das? Also, Alice, das gefällt mir ja schon ganz gut. Oh, sie wird noch berühmt werden!« Dann tat er etwas sehr Eigentümliches. Er streckte die Hände vor sich aus, bildete mit Daumen und Zeigefingern ein Viereck und sah mich dadurch an. Er bewegte die Finger vor und zurück, bis er mein Gesicht fokussiert hatte.
›Sie ist wunderbar‹, sagte er zu der Mysteriarchin. ›Und sie ist deine Urenkelin? Na, da braucht man ja nicht lange zu suchen, um zu erfahren, wo sie dieses gute Aussehen herhat.‹ Er lächelte. Die Mysteriarchin lächelte und sagte: ›Vielen Dank, Rominuald.‹
Ich war vollkommen verblüfft. Ich hätte nicht überraschter sein können, wenn die Sonne plötzlich ihre Farbe geändert hätte. Die beiden sprachen sich beim Vornamen an! Dabei war das nicht einmal so sehr bei dem Ersten Sekretär erstaunlich; er nannte sich schließlich Freund des Volkes und war für seine Ablehnung aller Förmlichkeiten bekannt. Aber die Mysteriarchin! Verschränkte sie doch einfach die Beine unter ihrem schwarzen Umhang! Lächelte! Reagierte auf ihren Vornamen Alice! Ich hatte bis dahin nicht einmal gewußt, daß sie Alice hieß. Für uns alle war sie immer nur die Mysteriarchin gewesen. Ich konnte mir absolut keinen Grund für diese Veränderung denken.
Dann richtete der Generalbevollmächtigte das Wort an mich. ›Ich bin sehr froh, dich kennenzulernen, mein Kind. Mein Name ist Rominuald Tanglin, und du heißt …?‹
Nach einer peinlichen Pause stotterte ich: ›Anna, Herr Sekretär, Anna Zwiegeboren.‹
›Anna‹, meinte er sinnierend. Plötzlich nickte er. ›Anna. Ein schöner Name. Ich hätte mir selbst keinen schöneren ausdenken können. Wunderbar. Sorge dafür, daß du diesen Namen behalten kannst. Wie alt bist du, Anna?‹
›Zwanzig, Herr Sekretär‹, sagte ich.
›Zwanzig!‹ sagte er. ›In gewisser Weise immer noch das Alter, in dem unser Geist am aufnahmefähigsten ist! Wunderbar! Dreh dich einmal herum und laß mich dein Profil sehen, mein Liebling. Hast du dich schon einmal auf Band aufnehmen lassen? Oder gar selbst einmal aufgenommen?‹
›Ein wenig‹, antwortet ich. ›Ich habe Moas in ihrer natürlichen Umgebung aufgezeichnet.‹
›Einmalig. Damit wärst du ein neues Gesicht. Deine entzückende Stammutter hier hat mir erzählt, du würdest dich mit den Moas sehr gut auskennen. Seit wie vielen Jahren studierst du sie denn schon?‹
›Fünf, Herr Sekretär. Seit drei Jahren intensiv.‹
›Oh‹, sagte der Generalbevollmächtigte nur. ›Na ja, für einen so jungen Menschen ist das ja schon eine ganze Menge. Ich wünsche mir nur, es wäre mehr von ihnen bekannt, bevor ich ... Du hast eine wunderbare Haut, wenn man bedenkt, wie oft du draußen gewesen bist. Diese Sommersprossen können selbst das eisigste Männerherz zum Schmelzen bringen. Du magst die Moas sehr, nicht wahr? Wozu wärst du bereit, um sie vor ihren Verfolgern zu schützen?‹
›Zu allem.‹
Der Sekretär wandte sich an meine Urgroßmutter. ›Ich mag dieses Kind von dir‹, sagte er. ›Sie hat soviel Munterkeit und kommt gleich zum Wesentlichen. Ich denke, sie wird ihre Aufgabe meistern. Wir sind uns doch einig, nicht wahr?‹
Die Mysteriarchin nickte. ›Ja, Sekretär.‹
›Wunderbar.‹ Er hob beide Hände und fuhr sich leicht durch die Locken in seinem Haar. Tanglin sah wirklich sehr gut aus, das lag nicht nur am Make-up.
›Anna‹, sagte er, ›möchtest du mit mir in die Hauptstadt kommen? Ich kann dir dort leider nicht mehr als viel Arbeit und Plackerei bieten … und das auch noch in deinem zarten Alter. Aber ich brauche dich, und das bedeutet, der Planet braucht dich. Ich möchte, daß du für die Moas eintrittst, denn, wie allgemein bekannt ist, haben sie ja keine eigene Stimme. Vielleicht bist du der einzige Mensch auf Niwlind, der sie noch retten kann. Diese Aufgabe wird dir kein Privatleben und keinen Seelenfrieden lassen, und wahrscheinlich wird sie dich nachhaltig verändern. Aber deine Hilfe ist so überlebenswichtig für die Sache der Moas, für meine Sache, für die Sache von uns allen. Willst du es tun?‹
Ich sah die Mysteriarchin an, und als sie leicht nickte, sagte ich: ›Ja, Herr Sekretär.‹
›Wunderbar‹, sagte er wieder. ›Ich
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