Viel Laerm um Stratfield
schattenhaften Umrisse in dem Standspiegel auf der anderen Seite des Raumes. Sie war fast dankbar für die Dunkelheit, die einen gnädigen Schleier über die Ereignisse breitete. Schließlich war Chloe so darauf eingestellt gewesen, ihren Bruder in ihrem Ankleidezimmer versteckt zu finden, dass sie nicht gewusst hatte, wie sie reagieren sollte. Jetzt blieb ihr keine Wahl. Hilfe konnte sie nicht erwarten, sie war allein auf sich gestellt, wenn sie den Eindringling besiegen wollte.
Ein Griff wie ein stählerner Gürtel drückte ihr den Atem aus der Lunge. Sie starrte auf den muskulösen Unterarm, der sie wie eine grausame Schraubzwinge festhielt. Die andere Hand des Mannes bedeckte ihren ganzen Mund und erstickte ihre wütenden Schreie.
Seine Kraft ängstigte sie, und der Schrecken steckte ihr in den Gliedern, aber sie war fest entschlossen, es ihm möglichst schwer zu machen, sie zu überwältigen. Trotzdem erkannte sie, dass er vermied, ihr wehzutun. Er hätte sie mühelos entzweireißen können. In ihrer Kindheit hatte sie oft genug mit ihren Brüdern gekämpft, um seine Stärke richtig einschätzen zu können. Sie hatte keine Ahnung, was er von ihr wollte, aber keine der Möglichkeiten, die ihr einfielen, gefiel ihr.
Die Pistole in seinem Hosenbund, die gegen ihr Kreuz gedrückt wurde, fühlte sich kalt und Unheil verkündend an. Sie begann, sich erneut panisch zu wehren, als er sie zum Bett schleppte.
„Hören Sie auf', knurrte er ihr ins Ohr. „Sie tun mir weh."
Sie tat ihm weh, wiederholte sie in Gedanken indigniert, dann schlug sie ihm mit dem Hinterkopf noch einmal kräftig gegen die Schulter. Das war ein Fehler. Er umfasste ihre Taille noch fester, bis ihr keine Wahl blieb, als jeden Widerstand aufzugeben und zuzulassen, dass er sie auf ihr eigenes Bett legte. Sobald er sich mit einem unbarmherzigen Gesichtsausdruck über sie beugte, senkte sie den Blick und bereitete sich auf das Schlimmste vor. Als dann einige Minuten verstrichen, ohne dass etwas geschah, fand sie langsam den Mut, zu ihm aufzublicken.
Ihre Blicke trafen sich in einvernehmlicher Wiedererkennung, seine grauen Augen glitzerten voller Ironie, gemischt mit etwas, was möglicherweise sogar Schmerz hätte sein können.
Es war der Geist von Stratfield, erkannte sie mit einer Mischung aus Erleichterung und Angst. Der Schrecken des Dorfes. Die Freude der einsamen Damen von Chistlebury. Der Mann, dessen Kuss sie in ihren geheimsten Träumen verfolgt und erregt hatte. Der, um den sie und die Hälfte der Damen von Chistlebury heimlich getrauert hatten. Ihr Galahad mit den schwermütigen grauen Augen. Aber er wirkte so anders.
Er war genauso wenig tot wie sie. Sie konnte spüren, wie erhitzt er war, vermutlich hatte er Fieber. Sein Atem ging flach und ungleichmäßig. Es war eine Tatsache, dass der arrogante Mann, der ganz Chistlebury in Atem hielt, grauenhaft aussah, ja, auch geisterhaft, und er musste zehn Pfund abgenommen haben seit dem Tag, an dem sie ihn zuletzt gesehen hatte. Seine Haut hatte inzwischen eine ungesunde, aschgraue Farbe. Kurze Bartstoppeln verliehen seinen kantigen Gesichtszügen etwas Mageres, Gefährliches.
Sein Ausdruck war hart und unversöhnlich. Obwohl sie seine Identität kannte und wusste, dass er ein Mann von Rang und ein Nachbar war, beruhigte sie das nicht. Diese Inkarnation Dominic Brecklands sah aus wie ein Mann, der am Rande der Verzweiflung stand. Ein Mann, der zu allem fähig war.
„Erinnern Sie sich an mich?", flüsterte er schroff.
Sie nickte, und ihr wurde bewusst, dass sie immer noch bebte. Auch seine heisere, raue Stimme war kein bisschen beruhigend.
„Sie - Sie haben mich aus dem Regen gerettet. Ja, ich erinnere mich."
„Ich habe Sie gerettet. Aus dem Regen."
Er hielt einen Herzschlag lang inne. Seine grauen Augen verengten sich, und er blickte sich in dem Raum um, als wollte er seine Umgebung abschätzen. Chloe war sich seiner so intensiv bewusst, seines männlichen Körpers, dass sie sich fühlte, als würde sie auf eine merkwürdige Weise mit ihm verschmelzen. Und als er wieder zu ihr sprach, war sie so überrascht, dass sie die ironische Belustigung in seiner Stimme beinahe nicht bemerkt hätte.
„Jetzt scheinen Sie an der Reihe zu sein."
Sie biss sich auf die Lippen. „Womit an der Reihe?"
„Mich zu retten."
„Zu ..." Bevor sie zu Ende sprechen konnte, verlor er das Bewusstsein und fiel schwer auf ihren angespannten Körper, sein dunkles Gesicht an ihres geschmiegt wie das Antlitz
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