Viel Laerm um Stratfield
antwortete er ausweichend.
Chloe studierte neugierig sein Profil. Sie hatte sich schon immer gefragt, ob vielleicht mehr hinter Brandons Tod stecken konnte als der angebliche Angriff von rebellischen Gurkhas auf seine Truppe. Sie hatte den Verdacht, dass ihre Brüder die Wahrheit vor ihr verheimlichten. Doch als junge Frau aus einer Familie voller Männer, die über jede ihrer Bewegungen wachten, konnte sie kaum selbst nach Nepal segeln, um Nachforschungen anzustellen.
„Sie wissen etwas", sagte sie leise.
„Ich weiß jedenfalls", erwiderte er und trat vom Fenster weg, um sich auf den Boden zu knien, „dass ich Ihnen für einen Abend eindeutig genug gesagt habe."
„Erzählen Sie es mir, und ich helfe Ihnen gerne."
„Es gibt nichts zu erzählen", sagte er knapp.
Es gab etwas, das wusste sie, ohne nachzudenken. Schon allein deswegen würde sie ihm helfen. Brandon war ihr mehr als ein Bruder gewesen. Sie hatte mit ihm zugleich auch ihren besten Freund verloren.
Aber dieser Mann war offensichtlich nicht in der Verfassung, irgendjemandem zu trauen, und Chloe hätte möglicherweise sogar Mitleid mit ihm empfunden, wenn er nicht auf so abscheuliche Art und Weise die Kontrolle über ihr Leben an sich gerissen hätte. Wie er jetzt beispielsweise wieder ihre Truhe durchstöberte und ohne jeglichen Anstand in ihren intimsten Wäschestücken wühlte!
„Was glauben Sie, was Sie da tun?"
„Ich suche nach einem Neglige, das ein bisschen weniger durchsichtig ist. Ihr Mangel an Bekleidung ist eine Ablenkung, die ich in meinem momentanen angeschlagenen Zustand nicht in der Lage bin zu ignorieren."
Chloe hielt inne. Sie hätte diese Aussage möglicherweise sehr interessant gefunden, wenn sie die Zeit gehabt hätte, darüber nachzudenken. Er fand sie anziehend. Doch offensichtlich würde er sich dadurch nicht an dem hindern lassen, was er tun musste.
„Was stimmt denn mit dem Neglige nicht, das ich trage? Es ist noch nicht einmal einen Monat alt."
Er blickte verzweifelt hoch. „Seien Sie dankbar für die Finsternis heute Nacht. Wenn Ihr idiotischer Verehrer Sie richtig gesehen hätte, wäre er diesen Baum im Handumdrehen hinaufgeklettert. Ich hätte mich auch noch um ihn kümmern müssen, und ihn hätte ich nicht so nett behandelt wie Sie."
„Nett? Es ist sicherlich schrecklich, in Ihrer Gesellschaft zu sein, wenn Sie glauben, schlechte Laune zu haben." Sie kniete sich neben ihm hin, um einen ihrer Lieblingsfächer aus seinen Händen zu retten. „Und wenn Sie nicht die ganze Zeit über hinter mir geschimpft hätten, wäre ich vielleicht geistesgegenwärtig genug gewesen, um mich anständig anzukleiden."
„Wären Sie zu ihm hinuntergegangen, wenn ich nicht hier gewesen wäre, um zu schimpfen? Nein. Sie müssen mir nicht antworten. Ihre Brüder hatten zweifelsohne guten Grund, Sie zu verbannen."
Sie umklammerte den Fächer, als wollte sie ihn zerquetschen. „Ich wurde der Gesundheit meiner Lunge wegen aufs Land geschickt. Ich neige zu Hustenerkrankungen."
„Sie wurden beim Küssen erwischt. Mit einem jungen Lord, nicht wahr?"
Chloe hatte plötzlich das Gefühl, ihm vollkommen schutzlos ausgeliefert zu sein, nackt vor einem Mann zu stehen, den sie unmöglich täuschen konnte. „Ich habe keine Ahnung, woher Sie diese Informationen haben."
„Es muss Ihnen genügen, dass ich sie habe."
6. KAPITEL
Dominic schloss den Deckel der Truhe. Er unterdrückte ein fiebriges Zittern. Seiner Vermutung nach vergiftete eine Entzündung seinen Körper. Für kurze Zeit benötigte er Chloes Hilfe, das war richtig. Wenn die Durchführung seiner Pläne gelingen sollte, war er auf ihre Diskretion angewiesen. Hätte er eine Wahl gehabt, wen er sich für seinen Rachefeldzug als Partner wünschte, so wäre sie ganz gewiss nicht auf diese widerspenstige Schönheit im Exil gefallen.
War sie überhaupt zu Verschwiegenheit fähig?
Konnte er ihr trauen?
Es war ein Fehler gewesen, vorhin ihren Bruder zu erwähnen. Sie hatte sofort erkannt, dass er einen Verdacht hatte, und so war es ihm unmöglich gewesen, sie zu täuschen. Ja, Dominic besaß Anhaltspunkte dafür, dass Brandon und sein eigener jüngerer Bruder Opfer eines herzlosen Komplotts geworden waren. Nein, er glaubte nicht an die saubere Version des Angriffs durch rebellische Gurkhas, die von der ehrenhaften East India Company vertreten wurde. Konnte er seinen Verdacht beweisen? Noch nicht ganz.
Verdammt, was sollte er nur mit ihr anfangen?
Langsam richtete er sich auf.
Weitere Kostenlose Bücher