Viel Laerm um Stratfield
Dabei spürte er, dass sie ihn so aufmerksam beobachtete, als wäre er ein verwundetes Tier. Er konnte es ihr nicht verübeln. Im vergangen Monat hatte er angefangen, mehr Ähnlichkeit mit einem Tier als mit einem Mann zu haben, er handelte nur noch nach seinen Instinkten. Er nahm ihre Hände: Ihre Finger waren so viel kleiner als die seinen, und doch waren sie warm und kräftig, als sie sich seiner Berührung widersetzte.
„Sehen Sie mich an." Der Beschützer, der er einst gewesen war, hätte ihr unschuldiges Feuer in Ehren gehalten. Der Teufel, zu dem er geworden war, wollte ihre Glut anfachen, bis sie verbrannte. „Kann ich Ihnen vertrauen?", fragte er, und seine Finger umklammerten ihre Hand noch fester, als wollte er der Anspannung entgegenwirken, die er darin fühlte.
„Ich weiß es nicht."
Es war eine ehrliche Antwort, die ihn mit Bedauern erfüllte. Wenn er sich nicht auf sie verlassen konnte, war alles, worauf er hoffte, verloren. Er würde einen Weg finden müssen, sich ihre Hilfe zu sichern, bis die Zeit kam, wo er seinen Mörder entlarven konnte. Vielleicht würde er sie mit in sein Versteck nehmen müssen, bis das hier durchgestanden war. Keineswegs eine angenehme Aussicht, für keinen von ihnen.
„Kann ich nicht irgendwie Ihre Freundschaft gewinnen?", fragte er feierlich.
Sie bewahrte einen kühlen Kopf, diese blauäugige Boscastle mit ihrem schmetterlingsbestickten Neglige. „In mein Zimmer einzubrechen, mich aufs Bett zu werfen und mich zu erpressen ist kaum ein guter Anfang für eine Freundschaft."
„Betrachten Sie es als Hilfe von Nachbar zu Nachbar."
„Ich will, dass Sie mir sagen, was Sie über Brandon in Erfahrung gebracht haben."
Er zögerte. Wenn er ihr sagte, was er herausgefunden hatte, könnte dies all seine Pläne gefährden. Es würde sie zugleich in größere Gefahr bringen, als sie verdient hatte. „Noch nicht. Überreden Sie mich nicht dazu, Dinge zu enthüllen, die meine Chance, ihn zu rächen, zunichte machen könnten."
Sie nickte. Offensichtlich verstand sie ihn besser, als ihm lieb sein konnte. „Sie haben genug gesagt. Ich weiß jetzt, dass ich Ihnen helfen will."
„Sie können mir nur helfen, indem Sie tun, was ich von Ihnen verlange."
„Woher weiß ich, dass ich Ihnen vertrauen kann?"
„Ich weiß nicht, ob Sie es können", erwiderte er. Er beugte seinen Kopf zu ihrem und betrachtete ihr Gesicht in der Dunkelheit. „Kein Wunder", murmelte er.
„Kein Wunder?", flüsterte sie, als ahnte sie, wohin seine Gedanken führten.
„Kein Wunder, dass Ihr Lord das Risiko einging, Sie im Park zu küssen. Ich habe den Tag nicht vergessen, an dem wir uns begegnet sind."
Wie als Antwort sah er ein Funkeln in ihren Augen. Eine weitere Einladung benötigte er nicht.
Mit seinen Lippen erforschte er den Rand ihrer Ohren, während er ihre Taille mit den Armen umschloss. Er wartete auf eine Reaktion. Stattdessen erstarrte sie. Ihr weiblicher Duft ließ ihn beinah die Beherrschung verlieren. Vor einem Monat hatte sein Leben eine grauenhafte Wende genommen. Jemand, der ihm nahestand, hatte ihn verraten und damit seine Fähigkeit, anderen zu vertrauen, zerstört. Und nun sah er einer Affäre mit der Schwester eines Mannes ins Auge, den er respektierte, mit einer jungen Dame, die eindeutig eine Herzensbrecherin war.
Gott behüte, dass er sie in ihrem gefährlichen Kurs noch bestärkte! Aber wie konnte es sonst enden? Chloe weckte in ihm den letzten Rest Hoffnung, wenn nicht sogar Unschuld, und ihre Vitalität und ihr Idealismus waren Eigenschaften, die er einst vielleicht mit ihr geteilt hatte. Auf ihren Lippen meinte er die wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu schmecken, Dinge, die er für immer verloren hatte. Glaubte sie an die Liebe? An ein glückliches Ende? Wie viele gestohlene Küsse und süße, in der Dunkelheit geflüsterte Lügen, wie viele mitternächtliche Stelldicheins waren nötig, um ihr ihre Illusionen zu rauben?
Es war nicht an ihm, ihre Träume zu zerstören. Und er hatte auch kein Verlangen danach. Vielleicht würde sich herausstellen, dass sie mehr Glück hatte als er. Vielleicht würde das sprichwörtliche Glück ihrer Familie sie schützen.
„Sie küssen mich ja schon wieder", flüsterte sie.
„Ja. Ich kann nicht anders." Er spürte, wie ein Schauer sie durchfuhr.
„Ich dachte, Sie würden mich töten."
„Es sieht nicht danach aus, oder?", murmelte er, dicht an ihren Lippen.
„Ich wusste, dass Sie mir nicht wehtun würden ...
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