Viel Laerm um Stratfield
Hang zu waghalsigem Benehmen waren, hätten sie sich sehr wahrscheinlich Stratfields Rachefeldzug angeschlossen. Für eine junge Frau kam das allerdings sehr wahrscheinlich nicht infrage. Was hätte ihre ältere Schwester Emma getan? Dem Viscount eine sanftere Art der Vergeltung gezeigt? Darauf bestanden, dass er anklopfte, bevor er in das Schlafzimmer einer Dame einbrach?
Sie faltete die Serviette in ihrem Schoß auf, um darin die Würstchen und den Toast aufzufangen, die sie beiläufig von ihrem Teller gleiten ließ. „Hat irgendjemand eine Ahnung, wer ihn getötet haben könnte? Ich würde mir denken, dass die Behörden alles dransetzen müssten, den Mörder zu fangen."
Ihr Onkel legte die Zeitung beiseite. „Das ist das erste Mal, dass heute irgendjemand etwas Intelligentes gesagt hat."
„Und etwas Unpassendes", fügte Tante Gwendolyn beleidigt hinzu. „Mord zu so früher Stunde."
Niemand sagte etwas - keiner von ihnen hatte den Mut, darauf hinzuweisen, dass Ihre Ladyschaft das unpassende Thema selbst aufgebracht hatte. Stattdessen hielt Onkel Humphrey wieder die Zeitung vors Gesicht, um Chloe in deren Schutz ein tonloses: „Es ist alles überaus seltsam" zuzuwispern.
Chloe wollte nur zu gerne wissen, was er dachte, aber selbst ihr aufgeschlossener Onkel wäre entsetzt gewesen, wenn er herausfand, was sie getan hatte.
Dass sie sozusagen die Nacht mit einem Mann verbracht hatte, der offenbar bei manchen so viel Hass geweckt hatte, dass ihn jemand hatte erstechen wollen. Ein Mann, dessen Wille so stark war, dass er sich aus dem Grabe erhoben hatte, um Rache zu nehmen.
Was sollte sie von ihm halten? Das Dörfchen Chistlebury schien gespalten zu sein - in jene, die sein Gedächtnis in Ehren hielten, und jene, die ihn verabscheuten. Keine der beiden Seiten wäre überrascht, wenn herauskam, dass sein „Geist" Lady Chloe Boscastle mitten in der Nacht besucht hatte.
Gleich und gleich gesellt sich gern, würden sie sagen.
Und vielleicht hatten sie damit sogar recht.
Nach dem Frühstück entschuldigte Chloe sich, um das gestohlene Essen möglichst unauffällig in der chinesischen Vase im Flur zu verstecken. Dann ging sie in dem großen Park spazieren. Unwillkürlich fand sie sich unter dem Schauplatz ihres jüngsten Verbrechens wieder, ihrem eigenen Schlafzimmerfenster. Der Gedanke daran, dass Dominic sich in ihrem Zimmer versteckte, verursachte erneut Panik bei ihr. Ob er nun ihr Gefangener war oder nicht, sie musste ihn in jedem Fall loswerden.
Aber wie genau sollte sie das bewerkstelligen? Er benötigte Hilfe. Doch er hatte ihr untersagt, einen Arzt zu holen, und sie konnte kaum einen nach oben schmuggeln, ohne dass der gesamte Haushalt es bemerkte, wenn nicht sogar das ganze Dorf. Sie dachte darüber nach, ob es klug wäre, ihren Onkel um Rat zu bitten. Aber damit würde sie die Rachepläne des Viscounts gefährden und ihr Versprechen ihm gegenüber brechen. Es war besser, wenn sie ihm half, wieder auf die Beine zu kommen, und er aus ihrem Leben verschwand.
Zögernd lenkte sie ihre Schritte zum Stall. Vielleicht sollte sie zur Apotheke gehen. Aber eine skandalumwitterte junge Dame, die nach einer Salbe fragte, mit der man eine Stichwunde behandeln konnte, würde mit Sicherheit Aufmerksamkeit erregen. Sie durfte keine Zeit verlieren: Sie musste den Geist austreiben, der die Kontrolle über ihr Leben übernommen hatte.
„Guten Morgen, Lady Chloe", sagte der Stallbursche höflich, als er sie in der Tür sah. „Möchten Sie heute früh gerne ausreifen?"
Chloe riss sich von ihren Gedanken los. Der kräftige junge Mann striegelte gerade eifrig Pamelas kastanienbraune Stute. Chloe atmete tief durch und erinnerte sich an die böse Schnittwunde, die das Tier vor ein oder zwei Wochen von einem Zusammenstoß mit dem Zaun davongetragen hatte. Das Hinterbein des Tieres war großartig verheilt.
„Was war das eigentlich für ein Zeug, das du ihr aufs Bein geschmiert hast, als sie verletzt war, Danny?"
„Eine Salbe aus Öl und Kräutern, die ich jedes Jahr bei den Zigeunern kaufe, Mylady."
Sie musterte ihn nachdenklich. „Es scheint auf jeden Fall geholfen zu haben."
„Es gibt nichts Besseres. Ich habe das Zeug selbst benutzt, als ich bei einem Boxkampf auf dem Jahrmarkt verletzt wurde." Er wischte sich die Wange mit dem sehnigen Unterarm ab und deutete mit dem Striegel auf einen Tontopf und eine grüne Flasche auf dem groben Regal über ihm an der Wand. „Ich glaube, diese Salbe und das Tonikum heilen
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