Viele Mütter heißen Anita
Osura umarmte Juan und schob sich dann in das Zimmer. Er war ein bißchen abgespannt, man sah es ihm an, seine Augen lagen tief im Gesicht, und der Mund war etwas verkniffen … aber er zeigte es nicht und lachte Juan an, um die Lügen etwas schmackhafter für sein Gewissen zu machen.
»Deine Mutter läßt dich herzlich grüßen und schickt dir einen Kuß. Und auch Pedro und Elvira! Sie alle freuen sich, daß es dir so gut geht und du so gesund bist.« Tortosa wandte sich ab und sah aus dem Fenster auf den Fluß. Er konnte es nicht ertragen, bei diesen Worten Juan anzusehen und das glückliche Leuchten seiner Augen aufzunehmen. So hörte er nur, wie Juans Stimme vor Glück bebte, als er zu Dr. Osura sagte: »Und Concha haben Sie nicht gesehen, Doktor Osura?«
»Nein. Ich hatte wenig Zeit. Aber ich will sie besuchen, wenn ich aus Madrid zurückkomme.«
Juan ging an seine Kommode und entnahm ihr ein Blatt. Er hatte darauf noch einmal Toledo gezeichnet und mit Wasserfarben koloriert. Aber es war ein anderes Toledo, als es Ramirez Tortosa von ihm gekauft hatte. An dem breiten Fluß lag die Stadt, die Brücken wölbten sich über das Wasser … aber diese Stadt war über ein Gesicht gezeichnet, das in dünnen Konturen, wie ein Schatten, durch die Häuser und Brücken und den Fluß hindurchschien. Das Gesicht Juans, ein Selbstbildnis voll Dämonie und Gleichnis, die Stadt seines künstlerischen Anfangs aus seinem Kopf wachsend … ein Bild der seelischen Plastik.
»Geben Sie bitte Concha dieses Bild«, sagte Juan und reichte Dr. Osura die Zeichnung, über die sich sofort Tortosa beugte und unwillkürlich zusammenzuckte. »Wie lange bleiben Sie in Madrid?«
»Vielleicht zwei Tage, Juan.«
»Dann will ich der Mutter noch ein Kleid und Schuhe kaufen.« Und mit einem Lächeln, das sein hartes Gesicht plötzlich veredelte, fügte er hinzu: »Ich habe mein erstes Geld mit der Kunst verdient …«
Dr. Osura nahm das Blatt wieder an sich und nickte: »Professor Tortosa sagte es mir. Ich habe mich sehr gefreut, Juan. Und selbstverständlich nehme ich das Kleid mit nach Solana del Pino.«
In dieser letzten Viertelstunde zeigte sich Frau Sabinar von großem Adel. Sie weinte nicht mehr … sie war fröhlich, damit Juan Torrico ein gutes Gesicht in seinem Andenken behielt. Sie ließ es sich nicht nehmen, einen Koffer selbst bis vor die Tür zu tragen, und drückte dann Juan lange die Hand, als sie auf der Straße vor Tortosas großem Wagen stand und die Abfahrt unwiderruflich war.
»Leben Sie wohl«, sagte sie fest. »Und werden Sie ein großer Mann, Señor Torrico. Und denken Sie an mich. Ich habe Sie sehr liebgewonnen in den wenigen Tagen.« Dann wandte sie sich plötzlich ab und ging wortlos in das Haus zurück, schlug die Tür hinter sich zu und lehnte sich im Flur an die schön tapezierte Wand. Die Tränen rannen ihr aus den Augen, und diesen Anblick wollte sie Juan ersparen, weil eine alte weinende Frau nie schön aussieht und der Abschied dann noch schwerer ist.
Langsam, als wollte er Juan noch einmal die Schönheit der wehrhaften Stadt am Tajo und am granitenen Felsen zeigen, ließ Tortosa seinen Wagen durch die Straßen und über die Brücke rollen. Er fuhr noch einmal zur Akademie und umfuhr sie wie bei einer Besichtigung, und Juan saß am Fenster und starrte auf den großen Palast aus Glas und Marmor, auf die großen Treppen und die weiten Ateliers, auf das gläserne Dach, wo in Klasse II B Prof. Yehno unterrichtete und die Schüler einen Männerarm aus dem Stein hauen mußten.
Dann wandte Tortosa sich um, nickte Juan zu und fuhr auf die Uferstraße zurück, wieder über den Tajo und seine schöne, geschwungene Brücke, der Überlandstraße nach Madrid entgegen.
Der Wagen blitzte in der Sonne. Es war heiß, Dr. Osura öffnete die Seitenfenster, und die Luft kam wie ein warmer Strom in das Innere. Froh lehnte sich Juan zurück und blickte hinaus auf das rauhe Land, das sich vor ihnen öffnete.
Es blickte nicht mehr zurück, und wenn er es getan hätte, so würde er doch nicht gesehen haben, wie ein junges Mädchen an einem der großen Glasfenster der Akademie stand und lange dem in der Sonne blitzenden Wagen nachschaute, bis er im Gewirr der Straßen verschwand.
Keiner dachte an sie, an das schöne, schlanke, geschminkte Mädchen an diesem großen Fenster. Und Jacquina nahm es Juan auch nicht übel, auch wenn sie ein bißchen traurig war. Er war ein netter Junge, dachte sie nur, und es wäre schön gewesen, ihn
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