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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ging ihnen voraus. Juan und Dr. Osura folgten ihm, und in der großen, mit geschnitztem Holz getäfelten Diele empfing sie Campillo und drückte Juan beide Hände. Sein Gesicht strahlte, und wieder wunderte sich Tortosa, wie gut man lügen kann, wenn man es muß.
    »Juan!« rief Campillo laut und dröhnend. »Sie endlich bei mir! Das wird ein Tag sein, der zu meinen schönsten zählt! Und vor allem – Sie werden sich wohl fühlen in Madrid! Mein Junge – wenn das stimmt, was mir Tortosa schrieb, liegt in einem Jahr diese Stadt Ihrer Sehnsucht zu Ihren Füßen.«
    Tortosa wandte sich wieder ab. Er konnte dieses gemeine Spiel des Schicksals nicht ertragen. Er verließ eilig den Raum, und sowohl Dr. Osura wie Campillo blickten ihm nach, verstanden ihn und bissen sich auf die Lippen.
    Juan bemerkte den kleinen Zwischenfall nicht. Er war zu sehr von seiner Umwelt gefangen, um auf das kleine Spiel seiner nächsten Umgebung zu achten. Er sah hinauf an die Balkendecke mit den schweren, geschnitzten Kronleuchtern, er sah hinüber auf die zur Seite geschobene Flügeltür in einen Raum, der nach altem maurischen Stil gestaltet war und das Herrenzimmer darstellte. Und er bewunderte die Gemälde und kleinen Skulpturen, die auf Sockeln aus Samt standen und in dem sanften Licht der Lampen doppelt warm und lebensnah wirkten.
    »Schön«, sagte er leise.
    »Es gefällt Ihnen bei mir, Juan?« Campillo wischte sich über die Stirn, weil er fühlte, wie seine Haut schweißig wurde bei dem Gedanken an die nächsten Wochen.
    »Ich hätte nie geglaubt, daß es so etwas gibt«, sagte Juan leise. »Ich wage gar nicht, an unsere Hütte in Linares zurückzudenken. Wenn ich es Pedro oder der Mutter erzähle – sie werden es nicht glauben.«
    »Sie werden es sehen«, rief Campillo in einem plötzlichen Einfall! »Ihre Mutter und Ihr Bruder werden auch nach Madrid kommen …«
    »Was?!« Juan preßte beide Hände gegen das Herz, und Dr. Osura zog bei dieser Bewegung die Augenbrauen etwas zusammen und beobachtete Juan scharf. »Ist das wahr, Señor Campillo?«
    »Aber ja! Ob ein oder drei Besucher, das macht uns nichts aus! Aber kommen Sie doch ins Haus, meine Herren – wir stehen ja immer noch in der Diele …«
    Was an diesem Abend weiter geschah, wußte Juan nicht mehr zu schildern, wenn man ihn gefragt hätte. Es war spät, als er in seinem Zimmer stand, einem großen Raum mit wertvollen Möbeln, einem breiten Bett, einem Balkon zum Garten hin mit zwei breiten Flügeltüren, dicken Teppichen und allen Annehmlichkeiten, zu denen man tiefe Sessel und eine schöne Couch rechnet. Es war ein Zimmer, wie es selbst der Gouverneur in Ciudad-Real nicht besaß, und es gehörte jetzt Juan für die Dauer seines Aufenthaltes in Madrid.
    Als ihn der Diener allein ließ, stand er, umgeben von seinen Koffern, schüchtern in dem prachtvollen Raum und wußte nicht, ob er die wunderschönen Dinge auch wirklich berühren durfte. Vorsichtig, auf Zehenspitzen, ging er über den dicken Teppich zu den Flügeltüren des Balkons, öffnete sie und trat hinaus in die warme Nacht.
    Die schlanken Zypressen im Garten rauschten. Ihr Geäst war schwarz und von einer spielerischen Eleganz in der Form, die verriet, daß man sie pflegte und sorgsam beschnitt.
    Fast greifbar war der fahle Lichthimmel Madrids. Man hörte durch die stille Nacht das ferne Hupen von Autos und das Rattern einer Eisenbahn. Aus einem offenen Fenster des Nebenhauses, das wie das Haus Campillos zwischen den Bäumen eines Parks lag, tönte leise die Musik eines Radios herüber. Blütenduft lag in der Nacht und jener Geruch des Neuartigen, den man nicht beschreiben kann, weil es für ihn keine Vergleiche gibt und jeder Mensch ihn anders empfindet.
    Juan lehnte sich an das Balkongitter und blickte empor zu den Sternen. Sie waren blaß vor dem Schein der Lichter Madrids, sie waren nur helle Punkte und funkelten nicht mehr so kalt und prächtig wie in den Bergen der Sierra Morena. Aber sie waren da, die Sterne, und Juan dachte an die Worte Conchas, in der Nacht hinauf in den Himmel zu sehen, wo sich in den Sternen ihre Blicke treffen würden und sich sagen könnten: Ich habe dich lieb. Und Juan blickte hinauf zu den blassen Sternen und sagte leise: »Concha, ich habe dich lieb …« Und er starrte in den Nachthimmel und dachte an ihre Locken, ihre schwarzen Augen und den Mund, der ihn zum erstenmal gelehrt hatte, zu küssen.
    In Toledo stand auch Concha am Fenster ihres Hotels und schaute in die Nacht.

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