Viele Mütter heißen Anita
zu lieben, weil er so ganz anders war als die Männer, die sich um ihre Gunst stritten. Was mag er bloß gehabt haben, daß er beim Tanze plötzlich zusammenbrach?
Sie ahnte nicht, daß dieser Tanz das Schicksal Juans wurde, daß ihre Arme, ihre Küsse, ihr Begehren die Flut gewesen waren, die die Dämme im Inneren Juans zerstörten. Wie sollte sie es auch wissen, diese kleine, lebenslustige Jacquina mit den roten Lippen, die so gerne küßten …
Und so stand sie eben an dem großen Fenster und sah dem Wagen nach, wie man einem flüchtigen Erlebnis nachschaut, von dem man viel erwartet und das einem entgleitet, und sie wandte sich ab, als der Wagen untergetaucht war im wogenden Leben Toledos, und setzte sich wieder an ihre Schreibmaschine, um den Brief fertig zu schreiben, der begonnen war.
Meldung an das Erziehungsministerium in Madrid.
Es wurden verbraucht:
500 Karton Zeichenpapier zu 100 Stück.
3.450 Zentner Sandstein in Blöcken zu je fünf Zentnern.
Und der nette Junge geriet in Vergessenheit …
An diesem Nachmittag, vielleicht vier Stunden nach der Abreise Juans aus Toledo, schellte es wieder bei Frau Sabinar.
Maria Sabinar schaute auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Sie trank gerade zur Linderung des Abschiedsschmerzes einen starken Kaffee und sagte sich, daß dies unmöglich ein neuer Mieter sein konnte, denn so schnell spricht es sich nicht herum, daß das Zimmer bei Frau Sabinar freigeworden war.
Sie ging an die Tür und sah beim Öffnen voll Erstaunen, daß ein junges, vielleicht siebzehnjähriges Mädchen auf der Straße stand und sie mit einem freundlichen Kopfnicken begrüßte. Das Mädchen war sehr hübsch – es hatte lange, schwarze Locken, durch die sich ein rotes Samtband schlang, es hatte schwarze, etwas mandelförmige Augen und sah in dem dünnen, großgeblümten Seidenkleid so ganz anders aus als die Mädchen aus Toledo, die ihre Schönheit mit Kosmetik unterstützten. Frau Sabinar war deshalb auch erstaunt, als das Mädchen sagte: »Wohnt hier Señor Torrico?« Und als es den Blick Frau Sabinars sah, fügte es schnell hinzu: »Ich bin eine gute Bekannte Señor Torricos aus seiner Heimat. Aus Solana del Pino. Bitte, sagen Sie ihm, Concha sei hier … er wird mich sofort holen …«
»Concha …« Frau Sabinar riß die Tür auf und zog das Mädchen in den Flur. »Er hat sich immer gewünscht, daß Sie ihn besuchten. Sogar vorhin noch, als er abfuhr …«
»Abfuhr?« Concha sah Frau Sabinar erschrocken an. »Juan ist weggefahren?«
»Ja. Wie schrecklich! Sie wissen es nicht?« Frau Sabinar schlug die Hände zusammen. »Vor wenigen Stunden ist er mit Professor Tortosa und Doktor Osura nach Madrid gefahren.«
»Mit Doktor Osura nach Madrid?« stammelte Concha. »Was will Juan in Madrid? Geht es ihm schlecht?«
»Aber nein! Er ist wunderbar gesund! Er soll dort weiterstudieren, die großen Werke ansehen. Er soll ein großer Künstler werden … Professor Tortosa verriet es mir einmal.«
»Und wann kommt er zurück?«
»Vielleicht in einem Jahr … ich weiß es nicht …«
Concha sah zu Boden. »In einem Jahr …«, sagte sie leise. Dann überkam sie die Enttäuschung, und sie schlug die Hände vor das Gesicht und weinte. »Ich habe mich so gefreut«, schluchzte sie.
Frau Sabinar führte Concha in ihren Salon, und dort redete sie ihr mütterlich zu, gab ihr eine Tasse Kaffee und ein Stück Gebäck, das die vielen Besucher an diesem Tag übriggelassen hatten, und dann weinte sie mit, denn sie fühlte, daß dieses Mädchen mehr für Juan war als nur eine Bekannte aus dem gleichen Ort.
Concha blieb nicht lange. Sie besichtigte nur noch das Zimmer Juans und legte den Kopf auf die Kissen, auf denen sein Kopf gelegen hatte – sie saß am Fenster auf dem Sessel, in dem Juan immer saß und hinüberblickte über den Tajo, und sie fühlte noch den Atem des Geliebten in diesem Raum und seine Nähe mit dem Schlag ihres Herzens, der immer neue Sehnsucht durch ihre Adern trug.
Als sie sich endlich losriß und wieder hinunterstieg in den Flur, war sie ein wenig fröhlicher gestimmt und gab Frau Sabinar die Hand.
»Ich danke Ihnen, Señora«, sagte sie leise. »Ich weiß jetzt, wie Juan gelebt hat. Es muß ihm gut gehen, und das ist das Wichtigste.« Sie steckte die Hand in die Tasche und fühlte dort das kleine Paket Anitas mit dem Ring von Juans Vater. »Kennen Sie seine Adresse in Madrid?«
»Nein – aber ich kann sie leicht von der Akademie erfahren.«
»Das wäre schön. Hier
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