Viele Mütter heißen Anita
–«, sie gab das Päckchen Frau Sabinar, »dies sollte ich Juan von seiner Mutter mitbringen. Schicken Sie es ihm bitte sofort nach. Es ist ein Talisman – er soll ihm viel Glück bringen.«
»Ich werde morgen noch zur Akademie gehen.« Frau Sabinar legte das Päckchen auf den Tisch ihres Salons.
»Soll ich ihn grüßen und schreiben, daß Sie hier waren, Señorita?«
»Ach ja, bitte. Schreiben Sie es ihm. Und schreiben Sie noch, daß – daß …«, sie senkte den Kopf und errötete. Leise sagte sie – »daß ich ihn sehr, sehr liebe und warte, bis er zurückkommt nach Solana del Pino …«
Dann wandte sie sich schnell ab und rannte aus dem Haus über die Straße. Es war ein heißer Nachmittag, und die Straße war leer von Menschen. So hörte man das Klappern ihrer Absätze noch eine Weile in der heißen Stille, und Frau Sabinar lauschte ihm, als seien es Klänge aus der fernen Zeit, in der sie als junges Mädchen verliebt durch Toledo lief und beim Laufen die Locken aus ihrer Stirne blies …
Es war später Abend, als der schnelle Wagen Ramirez Tortosas aus den Bergen hervorstieß und in der Ferne der Himmel einen weiten, blassen Schein annahm, ein Widerleuchten von vieltausend Lampen, ein Leuchtschirm über der Erde, hinaufreichend bis in die Nachtwolken, die in einem warmen Wind nach Norden trieben.
Madrid.
Die Straße wurde gepflegter – sie wurde nach einigen Kilometern sogar aus Asphalt, und die ersten Landvillen, hingeduckt in die weiten Gärten, tauchten im Scheinwerferkegel des Wagens auf. Die ersten Menschen seit Stunden gingen wieder über die Straße, und dann öffnete sich ein dunkler, grüner Park, durch den die Straße führte, und an seinem Ende öffnete sich die Stadt wie ein Fächer vor den Augen Juans … wie ein glitzernder, riesenhafter, aus sich leuchtender Fächer, verwirrend in der Form und dem Gemisch der Farben, der zuckenden Lichtreklamen, der großen Schaufenster, der erleuchteten elektrischen Bahnen, der unübersehbaren Schlange von Autos und den hohen Häusern, deren Dächer für Juan in den Himmel zu stoßen schienen.
Ergriffen saß er am Fenster des Wagens und starrte auf das nächtliche, ihn wie ein Märchen anmutende Bild der Stadt.
Madrid.
Die breiten Straßen tauchten auf … die Plätze mit den alten Palästen, den Museen, den wundervollen Kirchen, den weiten, weißen Staatsgebäuden, den neuen Häusern und dann die Theater und Filmpaläste mit ihren großen, hell angestrahlten Reklamen. Alles schlug über Juan zusammen, daß er mit starren Augen hinaussah und nicht begriff, was er sah. Dr. Osura schwieg. Auch Tortosa ließ diese Eindrücke in ihrer für Juan gewaltigen Größe still auf ihn wirken. Sie fühlten, daß sich hier ein Mensch in eine neue Welt begab, von der er nicht wußte, wie er sie nennen sollte, und die er einmal erobern würde, er, der kleine, schmächtige Junge aus den rauhen Bergen der Santa Madrona, der noch nie einen Omnibus gesehen hatte, noch nie ein Kino, nie eine Straßenbahn und nie eine bunt flammende Neonreklame an den Fassaden riesiger Häuser.
Langsam in dem starken Verkehr steuerte Tortosa den Wagen in die stilleren Vorstädte und bog dann in eine Straße ein, die mehr einem Weg durch einen Park von Palmen und Zypressen glich als einer Fahrbahn.
Hier, in einem weißen Haus mit großer Terrasse zum Garten hin, mit großen, versenkbaren Fenstern und auserlesenen Möbeln aus Spaniens Kulturgeschichte, wohnte Fredo Campillo. Er war von dem Kommen unterrichtet und hatte sein Haus beleuchtet. Als der Wagen knirschend bremste, eilte ein Diener an das Vorgartentor und riß es auf.
Zögernd stieg Juan aus und sah sich um. Welch ein Haus, dachte er. Viel, viel schöner als das von Ricardo Granja, und dabei war dieser so stolz auf seine Villa am Berghang. Sie war eine Hütte gegen dieses Haus, ein weißer Stall auf einem Schutthaufen … Der Diener nahm Juans Koffer aus dem Wagen und trug sie über den weißen Kiesweg ins Haus. Seine Schritte knirschten auf den Steinen. Juan sah dem Diener nach … Welch einen schönen Anzug er trägt, dachte er. Viel besser als meiner. Und wie er sich sicher bewegt. Er ist vornehmer als der Kreisvorsteher in Mestanza, der immer Wert darauf legt, mit seinem Titel angeredet zu werden. Wenn die Diener hier so vornehm sind, dann muß ich es auch sein. Aber wie macht man das, vornehm zu sein? Und weil er dies dachte, wurde er wieder unsicher und steckte die Hände in die Taschen seines Rockes.
Ramirez Tortosa
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