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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Leides, das eine Mutter fühlen kann.
    »Ich bin so glücklich«, hatte Juan geschrieben. »Und dieses Glück hat mich gesund gemacht. Ich fühle mich so wohl …«
    Das war das Grauenhafteste in seinem Brief … er wußte nicht, daß er dem Tode nahe war, daß er nur noch ein Jahr zu leben hatte und daß Dr. Osura seiner Mutter gesagt hatte, sie solle tapfer sein und ihn und alle Welt belügen. Und Anita fühlte, wie dieser Gedanke ihr Herz abschnürte, wie sie schreien wollte und es doch nicht durfte, um Pedro nicht zu wecken und ihm die Wahrheit sagen zu müssen. Aber während sie weinend betete, kam der Gedanke in sie, nach Toledo zu fahren oder nach Madrid oder wo Juan sonst war, und dieses Jahr bei ihm zu sein, ihn zu pflegen und an seinem Bett zu sitzen, wenn die Stunde kommen würde, wo ein Mensch das schwächste Geschöpf dieser Erde ist. Dann wieder sagte sie sich, daß es unmöglich sei … wer sollte den Hof versorgen, wer die Kleie kochen und die Schweine und die Hühner füttern und das Essen bereiten? Elvira trug ein Kind, und sie würde mit den Monaten schwer werden und ungelenk, vielleicht mußte sie sogar liegen, denn sie war zart und nicht geschaffen zur bäuerlichen oder mütterlichen Last. Ach ja, es war schon ein Elend auf dieser Welt, man war gebunden an das Leben und konnte ohne Schaden nicht ausbrechen aus dem Zaun, den das Schicksal bestimmt hatte. Und doch schwankte Anita, wenn sie an Juan dachte, und der Brief in ihrer Tasche knisterte, als wolle er mit ihr sprechen und sie rufen …
    Am Morgen, als Pedro und Elvira auf den Feldern waren, ging Anita hinab ins Dorf. Sie wanderte über die staubige Straße wohl eine Stunde, mit einigen Pausen der Rast am Wegrand, sie las einen Stock auf und stützte sich darauf, um besser gehen zu können, denn das Wasser in ihren Füßen war wieder stark und machte die Beine und den Körper plump wie eine Tonne.
    In Solana del Pino ging sie zum Pfarrer. Schüchtern klopfte sie an die Tür des Pfarrhauses, und Hochwürden öffnete selbst und zog die knicksende Anita in das Innere des Hauses.
    »Was ist, Anita Torrico?« fragte er und führte sie in sein Zimmer, einen hellen, großen Raum mit einem breiten Schreibtisch an den beiden Fenstern und vielen Regalen voller Bücher. Anita setzte sich auf einen Stuhl, aber nur auf die Kante, weil sie sich schämte, den Pfarrer mit ihrem Leid in der Arbeit aufzuhalten. Aber dann, als er sie dreimal geduldig gefragt hatte – denn er kannte seine Bergbauern und deren Redescheu – holte sie aus der Tasche den Brief Juans und gab ihn ihm. Der Pfarrer las das kurze Schreiben schnell und nickte Anita erfreut zu.
    »Es ist schön, daß es unserem Juan so gut geht«, sagte er ehrlich. »Ich freue mich mit Ihnen, Anita.«
    »Freuen?« Es war ein Schrei, der aus ihrer Brust kam. »Ich habe die ganze Nacht gebetet, Hochwürden …« Sie hob beide Arme … »Juan wird in einem Jahr sterben …«
    »Ich verstehe Sie nicht …« Der Pfarrer setzte sich erstaunt. »Juan schreibt doch, er wäre ganz gesund …«
    »Er glaubt es, er glaubt es … aber er wird sterben. Doktor Osura sagte es … man hat ihn in Toledo untersucht und es ihm verschwiegen. Niemand hier weiß es … außer mir und jetzt Ihnen, Hochwürden. Und ich muß schweigen …« Und plötzlich fiel sie auf die Erde, kniete nieder und faltete die Hände. »Mein Gott, was soll ich nur tun?«
    Der Pfarrer war aufgesprungen und hob die kleine Frau auf, führte sie in einen Sessel am Fenster, wo sie hinaussehen konnte auf den schönen, gepflegten Pfarrgarten mit den hochstämmigen Obstbäumen, und dann faltete er auch die Hände und sah hinaus in die Sonne.
    »Es liegt alles in Gottes Hand«, sagte er leise. »Der Mensch ist sein Werk … er allein kann es leiten.«
    »Juan hat ein Geschwür im Herzen, Hochwürden. Er ist unheilbar …«
    »Das sagen die Menschen, Anita … Haben wir Gott gefragt?«
    »Ich habe es«, schrie Anita und rang die Hände. »Aber Gott schweigt, Hochwürden …«
    »Er spricht auch, wenn wir Menschen ihn nicht hören. Er spricht dann in unseren Gedanken, in unseren Taten und in unseren Erfolgen. Gott ist überall, Anita Torrico – wir brauchen ihn nicht zu sehen, weil er nie von uns Menschen geht.«
    »Aber alle sagen, daß Juan sterben wird! Jetzt ist er in Madrid, bei einem berühmten Arzt, bei Professor Moratalla …«
    »Professor Doktor Moratalla?« fragte erstaunt der Priester.
    »Ja. Sie kennen ihn, Hochwürden?«
    »Er ist ein großer

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