Viele Mütter heißen Anita
Hinter ihr, schon zu Bett gegangen, zeterte Pilar und beschwerte sich, daß es in Toledo keinen Goldschmied gebe, der ein ihr passendes Geschmeide besäße und daß sie abfahren müßten, ohne etwas gefunden zu haben.
Ohne ihn gefunden zu haben, dachte Concha. Ob er in Madrid auch noch an mich denken wird? Oder ob jetzt alles vorbei ist, ein kleiner Jugendtraum nur, eine Liebe zwischen Kindheit und Erwachen … Ach, Juan, ist es so …?
Und sie starrte in die Sterne und fror, weil sie nur ein dünnes Seidenhemd über ihrem schlanken, schönen Körper hatte, um den selbst die Mutter sie beneidete, ohne es allerdings zu sagen. Der Tajo rauschte, und sein Gesang war noch schwermütiger als ihr Herz. Da schloß sie das Fenster und kroch im Dunkeln in ihr Bett, drehte sich auf das Gesicht und weinte leise in die Kissen, damit es die Mutter nicht höre.
An diesem Abend aber brachte ein Knecht aus Solana del Pino einen Brief in das Haus der Torricos, und er kam gerade, als man bei Tische saß und die Milchgrütze aß und den dicken Schafkäse mit dem selbstgebackenen, etwas trockenen Brot.
Anita zitterte, als der Knecht den Brief auf den Tisch legte und augenzwinkernd sagte: »Aus Toledo! Von Juanito! Das ist eine Freude, was, Anita …?«
»Von Juan?« Pedro sprang auf und riß den Brief an sich. Aber Anita legte den Löffel hin und sagte laut: »An wen ist er geschrieben?«
»An Anita Torrico«, sagte der Knecht. »Ich kann nicht lesen … aber der Posthalter in Solana sagte es mir so.«
»Dann gib ihn mir!« sagte die Mutter laut zu Pedro, und der große Sohn reichte ihr stumm den Brief, den sie in der Tasche ihrer Schürze verbarg. Dann aß sie weiter, ohne sich um die Unruhe Pedros und Elviras zu kümmern, denn sie konnte auch kaum lesen und Pedro auch nicht. Sie mußte zu einem Nachbarn gehen, der aus einem Stadthaus zugezogen war und des Lesens mächtig war. Er las allen Bauern die wenigen Briefe vor, die sie von Verwandten bekamen oder von den Behörden, und das war selten, denn was soll man einem Bauern in der Sierra Morena schon schreiben? Ab und zu, bei wichtigen Schreiben, ging man auch zu dem Pfarrer von Solana del Pino, und dieser beantwortete dann auch die Briefe an die Finanzbehörde in Ciudad-Real oder an das Gericht von Puertollano, wenn es Streit gab um Felder oder um das kostbare Wasser, das allen Bauern der Berge gehörte. Man sparte dadurch einen Advokaten, und der einzige Rechtsanwalt in dieser Gegend saß auch in Puertollano und ernährte sich mehr von seinen Ländereien als durch seine kleine Praxis.
Als man das Essen hinter sich hatte und Pedro, mit scheelen Blicken auf die Mutter, sich an den Ofen setzte und eine Pfeife rauchte, warf Anita ihre alte Spitzenmantilla über und steckte den Brief Juans in die Außentasche ihres Kleides. Pedro sah es wohl, und er war nahe daran, aufzustehen und mitzugehen, um wörtlich zu hören, was Juan aus Toledo schrieb. Doch ehe er sich dazu aufraffte, war die Mutter schon aus dem Haus und lief mit kurzem Atem durch die nächtlichen Gärten und durch das rauhe Tal dem nächsten Bauernhaus zu, das mit schwachen Lichtern gute zwanzig Minuten entfernt war.
Pedro sah ihr vom Küchenfenster aus nach und kaute an dem Mundstück seiner Pfeife. Elvira sah vor sich hin und schwieg. Sie wußte, was Pedro jetzt dachte, und es war klug, jetzt zu schweigen, denn Worte sind nichts, wenn sich die Seele ärgert.
Anita blieb lange beim Nachbarn. Es mußte ein langer Brief sein, denn es wurde tiefe Nacht, ehe sie zurückkam. Sie sah nicht froh und nicht traurig aus … sie war wie immer, und sie sagte zu Pedro: »Juan schreibt, daß es ihm gut geht. Er ist ganz gesund. Und er ist glücklich, in Toledo zu sein. Er macht gute Fortschritte und hat sogar schon drei Zeichnungen verkauft. Wir können stolz auf unseren Juanito sein …«
»Das ist schön, Mutter, was?« sagte Pedro glücklich. Und zum erstenmal seit Jahren küßte er die alte, kleine Frau auf die faltige Stirn und ging zufrieden und leise vor sich hinpfeifend ins Bett. Und Elvira war mit ihm glücklich und schmiegte sich eng an ihn, und so war alles voll Freude in diesem Haus und in dieser dunklen, mondstillen Nacht.
Alles? Nein – denn Anita war noch wach und lag auf den Knien vor der ewigen Flamme der Maria von Fatima. Sie hatte den Brief vor sich gelegt, und ihre Stirn ruhte auf dem beschriebenen Blatt. Ihre Schultern zuckten, denn sie weinte, und es waren keine Tränen der Freude, sondern des tiefsten
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