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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Arzt. Er ist der beste Chirurg Spaniens.«
    »Ob er Juan wirklich helfen kann?«
    »Wir wollen Gott darum bitten, Anita …«
    Die kleine, alte Frau schaute hinaus in den Garten, und sie dachte daran, daß in einem Jahr in einem solchen Garten, in Madrid vielleicht, hinter der blühenden Hecke eines großen Krankenhauses, ihr Juan sterben würde. Und sie schloß die Augen und beugte sich ein wenig vor, als drücke eine unsichtbare Hand ihren Nacken ein. Ihre Stimme war klein, als sie sprach.
    »Hochwürden … Doktor Osura hat mir vieles gesagt. Er hat mir Schreckliches gesagt, denn er wollte ehrlich sein. Ist der Tod eine Erbsünde, Hochwürden?«
    »Aber, Anita! Wie können Sie so fragen? Der Tod ist der Übergang des Menschen in das Reich des Herrn. Die Letzte Ölung ist ein Sakrament!«
    »Und der Tod aus Liebe?«
    Der Pfarrer sah erstaunt auf. »Wie soll ich das verstehen?«
    Anita hatte die Arme auf die Sessellehne gelegt – sie zuckten leise.
    »Wenn eine Mutter für ihr Kind stirbt …«
    »Anita!« Der Priester sprang auf. Seine Augen waren starr. »Wollen Sie Gott herausfordern?«
    »Ich würde es tun, um Juan zu retten«, sagte Anita leise.
    »Was würden Sie tun?«
    »Doktor Osura sagte es mir, und er dachte sich nichts dabei. Er sagte, daß es heute große Ärzte gibt, die kranke Teile des Körpers durch andere, gesunde Teile aus anderen Körpern ersetzen. Ich bin eine alte, dumme, zu nichts mehr nütze Bäuerin – aber ich habe ein gesundes Herz …«
    »Das ist ja Wahnsinn, Anita!« Der Pfarrer hieb mit der Faust auf den Tisch, und trotz der Hitze spürte er einen kalten Schauer über den Rücken laufen. »Es hieße die Natur herausfordern! Es ist ein Kampf gegen das Gesetz Gottes! Wollen Sie stärker sein als Hiob?«
    »Stärker? Nein, Hochwürden. Aber ich bin eine Mutter, und ich liebe mein Kind mehr als mich selbst. Mein Leben hat sich erfüllt … aber Juan ist so jung und so klug, und er darf nicht sterben …«
    »Ihre Gedanken sind ketzerisch, Anita«, rief der Pfarrer hart. »Es wäre Selbstmord – und das ist eine Todsünde!«
    »Auch, wenn ich Juan damit rette?!«
    »Auch dann. Ich dürfte Sie nicht begraben!«
    Anita nickte. »Ich dachte es mir«, sagte sie leise und sehr traurig. »Der Mensch in der größten Not ist immer allein. Dann soll man mich verscharren wie einen Hund … wenn nur Juan leben kann!«
    »Und Ihre anderen Kinder?« rief der Pfarrer. Er sah, daß hier eine stärkere Macht gesprochen hatte als die Bindung an den Glauben, und er war erschüttert über diese arme, alte Frau, die nicht mehr wußte, was sie sagte, oder die in ihrem Leid so hoch emporwuchs, daß der normale Mensch sie nicht mehr verstand.
    »Meine Kinder? Pedro ist ein starker Mann, er kann einen Stier bei den Hörnern greifen und auf die Erde drücken. Er braucht die alte Mutter nicht mehr. Und Elvira? Sie ist zart – aber sie hat Pedro, und sie wird bald eine Mutter sein und ihr eigenes Leben bewachen. Aber wen hat Juan ohne mich?«
    Der Pfarrer wischte mit der Hand durch die Luft. Er lehnte sich gegen das Fenster, und es war eine Geste seiner Hilflosigkeit, indem er hinausschaute und innerlich Gott inständig bat, ihm einen guten Gedanken zu schicken. Aber auch hier schwieg Gott und das Herz des Priesters war voll Angst, etwas Falsches sagen zu können …
    »Es wird keinen Arzt geben, der so etwas wagt!« sagte er leise. »Auch Professor Moratalla nicht. Es wäre Mord!«
    »Aber ich will es doch!«
    »Auch einen Menschen auf dessen Wunsch zu töten, bleibt Mord! Die ewige Verdammnis steht darauf!«
    »Ich will sie ertragen, wenn Juan leben kann!« rief Anita. Und sie saß kerzengerade im Sessel wie eine Statue aus Stein, den Fluch der Kirche auf sich zu nehmen …
    Doch der Pfarrer schwieg eine Weile. Der Gedanke, daß es keinen Arzt geben würde, der eine solche Operation vollzieht, beruhigte ihn sichtlich. Es war ein guter Gedanke, er gestand es sich ein, und er dankte Gott, daß er ihn gefunden hatte.
    »Sind Sie zu mir gekommen, um mir das zu sagen, Anita?« fragte er.
    »Ja, Hochwürden.« Sie senkte das Haupt. »Ich wollte um Ihren Segen bitten …«
    Der Pfarrer biß sich auf die Lippen. Dann wandte er sich ab und ging in dem großen Zimmer hin und her. Seine Schritte hallten in dem fast leeren Raum, und jeder Klang seines Fußes drang in Anitas Ohren wie der Schlag einer riesigen Glocke, die nahe über ihrem Kopf schwebte. Sie zuckte zusammen und kroch noch mehr in sich hinein – wie ein

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