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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bündel Lumpen saß sie in dem tiefen Sessel, aus dem ihr zerknittertes Gesicht gelblich hervorschien.
    »Ich weiß, Hochwürden, es geht nicht …«, stammelte sie. »Aber ich möchte beichten, bevor ich fahre …«
    »Sie werden hierbleiben, Anita!«
    »Nein, Hochwürden!«
    »Sie sind ja wahnsinnig!«
    »Nein … ich liebe nur mein Kind. Sie haben nie ein Kind gehabt, Sie dürfen nicht heiraten, Sie sehen sie nur bei der Taufe oder beim Gottesdienst oder beim Firmungsunterricht. Sie kennen nicht das Herz einer Mutter oder eines Vaters, Sie wissen nicht, wie man auf jedes Lächeln achtet, wie man jeden Atemzug in sich hineintrinkt, wie man jedes Lachen in der Seele widerspiegelt, wie wundervoll es ist, wenn man die Hand oder den Kopf oder den Körper seines Kindes umfaßt hält und die Wärme spürt, die der Körper gibt … der Körper, der im eigenen Schoße wuchs wie der Sproß eines Baumes oder das Korn in der Ähre. O Hochwürden, was wissen Sie davon, wie es ist, wenn man an einem Bett sitzt, und das Kind ist krank … man spürt die Krankheit selbst, man wacht des Nachts und arbeitet am Tage, man hat keinen Blick mehr für die Umwelt … nur das Kind, das Kind … das ist die ganze Welt, für die man lebt. Und dann soll es sterben, man weiß die Stunde sogar, und Gott schweigt auf Tränen und Bitten, auf Schreie und Flehen. O Hochwürden, suchen Sie eine Mutter, die sich nicht an das Letzte klammert, die nicht bereit ist, alles zu geben, um dieses Leben aus ihrem Leben zu retten. Und dann spricht dieses Kind, oder es schreibt, in seinen Worten ist das Lächeln, weil es nicht ahnt, wo es steht … ein Lächeln, das Herzen zerreißt, ein Lachen, das wahnsinnig macht …« Und plötzlich sprang sie auf, ihr kleiner, dicker Körper schwankte hin und her, als habe er allen Halt verloren, und sie schrie grell: »Ich kann nicht mehr, ich kann es nicht ertragen … mein Juan soll leben … leben …«
    Wimmernd fiel sie auf den Sessel zurück, und der Pfarrer fing sie auf, indem er sofort hinzusprang, stützte sie und richtete sie in dem Sessel auf. Sein Gesicht war mit Schweiß überzogen – es kam ihm vor, als habe er eben einen Vorgeschmack des Jüngsten Gerichtes gehört, und er zitterte merklich, weil sein Herz anders dachte als sein Verstand.
    »Ich bringe Sie nach Hause, Anita Torrico«, sagte er leise und sah sich um, ob nicht etwas in der Nähe war, die alte, weinende Frau zu beruhigen. Doch Anita schüttelte den Kopf, und ihre Abwehr war so groß, daß er sie losließ und zurück an das breite Fenster trat. »Wann wollen Sie fahren?« fragte er.
    »Wenn ich weiß, daß Juan in Madrid ist. Doktor Osura wird es mir sagen.«
    »Er ist ein dummer Mensch, daß er Ihnen so viel erzählte«, schimpfte der Pfarrer. »Ich werde mit ihm sprechen …«
    Anita schüttelte den Kopf. »Es wird nichts nützen, Hochwürden. Auch wenn Doktor Osura mich nicht mitnehmen will … ich fahre dann allein zu meinem Kind …«
    »Ich werde an Professor Moratalla schreiben!« rief der Priester.
    Anita lächelte, und dieses Lächeln, das ihr tränennasses Gesicht überzog, war voll Glück und Freude.
    »Zu spät, Hochwürden. Ich habe ihm schon geschrieben …«
    »Und was hat er geantwortet?« rief der Pfarrer entsetzt.
    »Nichts! Aber es ist ja auch unwichtig, was er schreibt. Ich werde seine Antwort nie lesen, sondern ihn nur bitten, bis er zu mir kommt und mein Herz für Juan nimmt …«
    Sie erhob sich und knickste wieder vor dem Pfarrer. Etwas so Kindliches war in dieser Bewegung, daß der Pfarrer nichts mehr sagte, sondern sie wortlos gehen ließ, zurückbleibend mit dem Konflikt seines Gewissens, aus dem er keinen Ausweg sah. Da hob er die gefalteten Hände zur Decke und schloß die Augen.
    »Herr, hilf uns«, sagte er leise und innig. »Gib uns ein Licht mit auf diesen dunklen Weg, den wir gehen. Verlaß uns nicht, Herr, denn wir wissen nicht mehr, was wir tun.«
    Aber es kam keine Stärke in ihn durch dieses Gebet, und er löste die Finger voneinander und wischte sich über das schweißige Gesicht, ängstlich und ratlos.
    In dem großen Zimmer mit der breiten Fensterwand zum Garten der Klinik hin ging Prof. Moratalla unruhig hin und her. In den Sesseln, die um einen Rauchtisch gruppiert waren, saßen Dr. Osura, Dr. Tolax, Dr. Albanez, Prof. Dr. Dalias und Fredo Campillo. Der Rauch ihrer Zigarren lag wie ein Nebel im Raum, blau wallend bei jedem Zug, der ihn aufwirbeln ließ, aber träge und gesättigt in hal ber Höhe zum

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