Viele Mütter heißen Anita
Chirurg in Spanien gewagt, die O'Neillsche Methode der Mitralklappenspaltung vorzunehmen, ich war der erste Arzt, der in Spanien einen Gehirntumor extrahierte und der bei einem Unterschenkelsarkom nicht das Bein amputierte, sondern den Knochen in zehn Zentimeter Länge herausnahm und durch eine Knochenüberpflanzung das Bein und das Leben rettete! Ich habe Unwahrscheinliches gewagt, und man weiß es in Madrid und in der Welt, ich habe einen Namen … Moratalla lächelte und wandte sich ins Zimmer zurück. Einen Namen … Man kann ihn durch einen einzigen mißglückten Eingriff verlieren.
Er ging zum Schreibtisch zurück und drückte wieder auf den kleinen schwarzen Knopf. Eine junge Schwester trat ein und wartete an der Tür.
»Holen Sie mir bitte sämtliche Unterlagen über Señor Torrico und Dr. Tolax, wenn er frei ist«, sagte er. »Und dann möchte ich in der nächsten Stunde nicht gestört werden. Mit Ausnahme von besonders dringenden Fällen.«
»Jawohl, Herr Professor.« Ein leichtes Lächeln glitt über das schöne Gesicht der jungen Schwester. »Soll ich wieder eine Flasche Wein bringen?«
»Nein.« Moratalla lächelte zurück. »Lieber eine Kanne starken Kaffee. Ich werde heute nacht wieder bei meinen Tieren im Keller sein …«
In dieser Woche aber geschah es, daß das Schicksal aller Personen einen Sprung vorwärts machte und die Zeit einem Wunder glich und zusammenschrumpfte zu wenigen Tagen. Es war einer jener unbegreiflichen Entschlüsse Gottes, vor denen der Mensch ein machtloser Dulder wird und sich beugt unter dem Wort, das keine Antwort duldet.
Ricardo Granja suchte seine Tochter, weil er nach Puertollano fuhr und sie gerne mitnehmen wollte. Concha aber war in Solana del Pino und kaufte ein, auch wollte sie dort Pedro treffen, von dem sie wußte, daß er an diesem Tage im Dorf war. Sie hatte auch davon gehört, daß ein neuer Brief Juans angekommen war. Sie fieberte dem Schreiben entgegen und war schon früh am Morgen aus dem Haus gegangen, ohne zu sagen, wohin sie ging.
Ricardo Granja kam selten in die Zimmer seiner Tochter. Es lag ihm nicht, in fraulichen Gemächern herumzustehen, wo alles so klein und zierlich ist, daß man meint, die Möbel zerbrächen unter den klobigen Händen. Und so stand er auch jetzt unschlüssig in Conchas Schlafzimmer und ließ den Blick über die weißen und lindgrünen Möbel schweifen. Bei einem aufgeklappten Schreibschränkchen blieb er haften, denn es lagen dort einige Hefte herum und ein paar Briefe. Er sah es deutlich – es waren Briefe, und er wunderte sich, wer wohl Concha schreiben würde, denn nie hatte er gesehen, daß an Concha Post dabeigewesen war.
Neugierig trat er an den Schreibschrank heran und drehte die Kuverts herum.
J.T. Madrid, bei Fr. Campillo, stand dort. Und die Adresse: Señorita Concha Granja, Solana del Pino, Ciudad-Real, Castilla, Gasthaus Moya.
Ricardo Granja schüttelte den Kopf und setzte sich vorsichtig, aus Angst, er könne zerbrechen, auf den kleinen, lederbespannten Hocker vor die heruntergeklappte Schreibplatte.
J.T.? grübelte er. Wer ist J.T. Eine Freundin? Die Schrift ist kindlich, unbeholfen, ein wenig klobig. Er nahm einen Brief aus dem Kuvert und tröstete sich über den Vertrauensbruch hinweg mit der Feststellung, daß es die Pflicht eines guten Vaters sei, das Seelenheil seiner Tochter zu überwachen und ihr die richtige Erziehung auch in Hinsicht des brieflichen Verkehrs zu geben. Auf einmal erinnerte er sich an die Sittenstrenge der Spanier, und er wurde sehr ernst und äußerst moralisch, als er den ersten Brief las.
Es war ein Liebesbrief … bei den Tränen der Mater dolorosa! Ricardo Granja fühlte, wie er wütend wurde, denn er wußte nichts von einem Mann, der seiner Tochter die Liebe gesteht und außerdem die Fähigkeit hat, zu schreiben. Es war also kein Mann aus dieser Gegend, denn diese Bauern konnten weder schreiben noch lesen, und das war etwas, was ihn beruhigte. Er las also weiter, und er war sehr erregt, als er von Küssen las, von einer traumhaft schönen Nacht, von Schwüren der Treue und den heißen Lippen, nach denen man Sehnsucht habe.
Meine Concha, dachte er nur. Sieh an, sieh an. Wenn ich das Pilar sage, bekommt sie einen Anfall. Meine Tochter hat heiße Lippen beim Küssen, und sie trifft sich in einsamen Nächten! Donnerwetter! Wo bleibt da die spanische Sittsamkeit? Vor hundert Jahren hätte man diesen Unbekannten zu einem Duell mit dem Florett fordern müssen … Ricardo war froh,
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