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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erschrak er innerlich. Eben noch war er der liebe, lustige Bruder, wie ich ihn gern haben könnte, und jetzt ist er wieder der grobe Kerl. Haben denn die Menschen immer zwei Gesichter? Pedro hat sie – aber die Mutter auch? Gibt es im Menschen zwei Menschen, die nicht voneinander wissen, was sie tun und was sie dürfen? Bin auch ich so? Habe auch ich zwei Gesichter?
    Er ging zu den geschlossenen Fenstern und schaute in die blinden Scheiben. Etwas verschwommen sah er sein Gesicht. Es war eingefallen, die Backenknochen standen weit heraus, so, wie es bei Schwindsüchtigen ist. Ich muß einen Spiegel haben, dachte er plötzlich. Ich will mein eigenes Gesicht malen, ich will es in Granit schlagen, diese dünnen, kantigen Züge eines jungen Menschen voll Hoffnung und voll Zukunft.
    Er stand so noch und sah sich in der blinden Scheibe an, als hinter ihm im Fenster, verzerrt, ein anderer Kopf erschien. Erst glaubte er, eine Täuschung sei es … er sah Locken und einen Kopf, der ihm bekannt vorkam, der Concha sein konnte … Er mußte lächeln und wischte sich über die Augen – aber als er sie wieder öffnete, war das Bild noch immer in der blinden Scheibe, und da erst drehte er sich mit einem wilden Ruck herum und sah sie vor sich stehen, die Hände schamhaft in den Taschen ihres Seidenrockes versteckt und den Blick zu Boden gesenkt.
    Da sie sich nicht immer so stumm gegenüberstehen konnten, riß Juan sich zusammen und reichte ihr die Hand hin. »Guten Tag, Concha.«
    »Guten Tag, Juan.«
    »Es ist schön, daß du gekommen bist …«
    »Ja? Freust du dich?« Sie wagte einen zaghaften Blick zu ihm. »Ich wollte zu Pedro. Der Vater läßt fragen, wann der Karren mit dem Obst käme. Wenn es weiter regnet, will er ihn nur zum halben Preis nehmen, denn dann gäbe es in der Stadt genug.« Sie sah sich um. »Aber Pedro ist nicht da?« stellte sie fest.
    »Ja – er ist nicht da. Niemand ist da, Concha. Ich bin ganz allein …«
    »So, du bist allein …«
    Und wieder schwiegen sie, als hätten sie damit alles gesagt, was sie zu sagen hatten. Er war allein … um sie herum waren weit und herrisch nur die Berge und die Felder. Concha trat näher, ging an Juan vorbei und setzte sich auf die Bank vor die Tür des Hauses, wo die Mutter manchmal an schönen Abenden saß und sich ausruhte, oder Elvira die Mandoline zupfte und mit heller Stimme dazu sang, begleitet vom Brummen des stolzen Pedro.
    Concha ließ die Beine über den Boden pendeln und zupfte an ihren langen Locken. Es sollte so wirken, als sei sie gleichgültig und nicht sonderlich erfreut, mit Juan allein zu sein, doch am Zucken ihrer Lippen sah man, daß sie erregt war und auf Juans Worte wartete. Auf seine Worte, oder auf anderes – sie wußte es selber nicht.
    Juan stand vor ihr und nagte an der Unterlippe. »Ich habe das Bild bald fertig«, sagte er. »Wäre ich nicht in der Stadt gewesen, hätte ich es fertigbekommen.«
    »Du warst in Puertollano?«
    »Nein, in Mestanza. Bei Doktor Osura.«
    Sie blickte ihn etwas ängstlich an. »Bist du krank, Juan?«
    Er fühlte, wie er errötete, und er zwang sich, es nicht zu tun. »Nein«, wich er ihrer Frage aus, »Doktor Osura zeigte mir nur, wie ein menschliches Herz aussieht. Hast du schon einmal ein Herz gesehen?«
    »Nein, Juan.«
    »Es sieht merkwürdig aus. Mit Kammern und Klappen und dicken Adern.« Er stockte und sagte dann mutig: »Doktor Osura hat mir auch die Kammer gezeigt, wo im Herzen die Liebe ist …«
    Jetzt überzog sich ihr Gesicht mit feiner Röte, und sie spielte mit den Fingern, als sei es das schönste Spiel, das es gäbe.
    »Hast du sie genau besehen?« fragte sie leise.
    »Ja, Concha. Doktor Osura sagte auch, daß in dieser Kammer ein Bild entsteht von dem Menschen, den man so liebt. Ein Bild aus dem Herzblut, Concha.«
    Sie nickte leicht. »Ich glaube es dir, Juan«, flüsterte sie.
    »Das ist schön«, sagte er glücklich.
    Er setzte sich neben Concha auf die Bank und zeichnete mit der Spitze seines rechten Schuhs Kreise und Winkel in den Staub.
    Sie sprachen dann wenig miteinander – sie gingen hinaus in die Berge, der Kuppe des glänzenden Rebollero entgegen. Sie gingen wie Fremde nebeneinander her, denn sie hatten Angst, noch mehr über das zu sprechen, was ihnen auf der Zunge lag und aus ihren Augen glänzte, wenn sie sich verstohlen ansahen. Als sie durch die Hügel gingen und der Weg steinig wurde, faßte er sie unter und spürte das Zittern ihrer Haut an seinem Arm. Dann lagen sie in einer

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