Viele Mütter heißen Anita
Bodenwelle im hohen, harten Gras und schauten in den wolkenlosen, lichtblauen Himmel.
Der warme Wind, der über die Berge strich, ließ ihre langen Haare über sein Gesicht wehen. Er schloß die Augen und ließ das Streicheln über sich ergehen. Ihre Haare, dachte er. Es muß schön sein, wenn sie eine Blume im Haar trägt … eine rote Rose oder eine weiße, große Margerite in dem schwarzen Haar. Ich werde ihr eine pflücken und sie selbst in die Locken stecken.
Er lehnte sich an ihren Arm, der seine Schulter umfaßt hielt.
»Lieben wir uns, Concha?« fragte er leise.
Sie nickte und strich mit der Hand über sein Gesicht.
»Ja, Juan.«
»Man wird uns anfeinden und uns zu trennen versuchen.« Juan richtete sich leicht auf. »Aber wir gehören zueinander, Concha – ich fühle es …«
»Ja, Juan …«
Und er küßte sie, und es war ein anderer Kuß als der vor der Höhle. Er war stark und fordernd, und in seinen Augen leuchtete ein Feuer auf, der schmächtige Körper straffte sich, er fühlte Mut in sich, den er bisher nicht gekannt hatte. Es war ein Schwelgen in dieser plötzlichen Entfaltung seines Wesens, er hob Concha aus dem Grase hoch, nahm sie auf seine Arme und trug sie eine weite Strecke hinein in die Berge. Sie lachte glücklich und küßte ihn auf den Mund und auf die Augen und strampelte mit den Beinen wie ein Fisch, der seinen glitzernden Leib an der Angel auf- und niederschnellen läßt.
So trafen sie in den Bergen ein kleines Zigeunerlager, und ein Mädchen, das sich Rosita nannte, las ihnen aus der Hand das Schicksal. Bei Concha lachte sie und weissagte Glück und Kampf, Liebe und Weh, wie es im Leben eines Menschen immer ein Auf und Ab des äußeren Schicksals gibt. Aber bei Juans Hand zögerte sie, und plötzlich stieß sie sie zurück und rief mit entsetzten Augen:
»Nein! Nein, o Herr, zwingen Sie mich nicht, zu sagen, was ich sehe! Nein! Nein!« Und sie wandte sich ab und rannte den Wagen zu, als hetze sie ein Bild der Apokalypse.
Concha zog den starren Juan fort … sie rannten von dem Lager der Zigeuner fort und standen dann schwer atmend an der kahlen Wand eines Felsens.
Sie ist vor meiner Hand weggelaufen, dachte Juan, und etwas in seinem aufschäumenden Wesen zerbrach wieder. Sie hat geschrien und ist bleich geworden. Er hob seine Hand empor und blickte hinein. Rillen und Linien sah er, wirr, sich kreuzend oder nebeneinanderlaufend, sinnlos anscheinend und doch lesbar wie ein Buch.
»Concha«, stammelte er da. »Concha … meine Hand.«
Sie aber umklammerte ihn und küßte ihn. »Zigeuner lügen«, sagte sie laut. »Juan, denk nicht mehr an dieses dumme, schmutzige Mädchen! Lach doch, Juan … sieh, ich küsse dich.« Und sie küßte ihn immer und immer wieder, ihr Mund war wie eine aufgebrochene Frucht. Da umfaßte auch er sie und stemmte sich gegen das Leid, das in ihm aufkam. Ihre Augen schrien ihn an … da legte er seine Lippen auf sie und tilgte den Schmerz, der sie durchrann.
Aber in seinem Kopf blieb der Gedanke zurück wie ein Stachel, der tief im Fleische sitzt.
Meine Hand … was ist mit meiner Hand?
Und er stemmte sich dagegen und wurde stark in dem Willen, alles Kommende zu ertragen …
Zwei Tage später stand Juan am Ausgang von Solana del Pino und wartete auf den Wagen Dr. Osuras.
Er stand dort, wo der Dorfweg in die Berge mündet, die Mappe mit den fertigen Zeichnungen und dem Kopf Conchas in bunten Wasserfarben unter dem Arm. Er lehnte an dem Stamm einer Pinie und sah hinab auf das Dorf, wo einige Bauern um den Brunnen mit dem Heiligen standen, der noch immer Wasser spuckte aus seinem krummen Hirtenstab. Sie unterhielten sich und rauchten dabei ihre großen und dicken Zigaretten, die sie sich selbst in der Tasche drehten.
Endlich klapperte ein alter Wagen den Weg hinauf, und am ehrfürchtigen Grüßen der Bauern sah Juan, daß es Dr. Osura sein mußte.
Mit einem knirschenden Laut hielt der Wagen vor Juan, und Dr. Osura beugte sich aus dem Fenster.
»Guten Tag, Juan!« rief er.
»Guten Tag, Doktor Osura!«
Der Arzt stieß die Tür auf. »Komm, steig ein …«
Langsam fuhren sie durch die Berge. Juan dirigierte den alten Ford über die steinigen Wege, er schwankte und hüpfte, aber er kam vorwärts und folgte den Spuren der Ochsen- und Eselskarren, die um die Berge herum den Mist auf die Felder schafften.
Zwei Seitentäler vor dem mächtigen Rebollero ließ Juan halten und zeigte auf einen Abhang, der in halber Höhe von einem Plateau unterbrochen
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