Viele Mütter heißen Anita
wurde.
»Dort«, sagte er. »Wo es steil wird. Kommen Sie, Dr. Osura.«
Bevor sie in die Höhle traten, sah Juan den Arzt noch einmal kritisch an.
»Sie wollen mir wirklich helfen?« fragte er unsicher. Dr. Osura wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ja, Juan. Ich habe einen Freund in Madrid, der etwas von Bildhauerei versteht …«
»In Madrid?«
»Ja. Er ist dort ein bekannter Mann, ein Museumsdirektor, und wenn er sagt, es ist gut, dann wirst du einmal bekannt sein, Juan.«
Juan wandte sich ab. Seine Augen glänzten.
»Kommen Sie«, sagte er. »Ich gehe vor und zünde das Licht an.«
Stumm stand Dr. Osura vor den Werken aus Stein. Auf einem Tisch, selbst gezimmert aus Knüppelholz, und einigen Regalen standen sie … der Adler, der die Maus unter seinen Fängen zerriß … mächtig waren die Krallen, gespreizt die Flügel, als jage noch der Wind durch die Federn. Das Kaninchen stand da, die Kühe, die Pferde, die Schafe, und auf dem Tisch stand ein großer dunkler Granitblock, roh behauen, halb begonnen, aber Dr. Osura sah in ihm schon die asketischen Züge Juans.
Stumm stand er vor den Werken. Er verstand nicht viel von der Kunst, aber er fühlte, daß er hier in das Geheimnis des kommenden Großen blickte. »Es ist unglaublich«, murmelte er nur und nahm die Steine in die Hand … ein springendes Pferd, eine windzerzauste Pinie, einen sterbenden Vogel, dessen offener Schnabel noch den Schrei in sich trug, und eine Kuh, die wiederkäuend auf einer Wiese lag. Dann fuhr er mit der Hand über die Rissen und Flächen des großen Granitblocks, der Juans Züge trug. Seine Hand zitterte dabei.
»Das bist du?« fragte er.
»Ja.«
»Und wann wirst du es fertig haben?«
»Vielleicht in zwei Wochen.«
Als er wieder draußen in der Sonne stand, schien sie in sein faltiges, ergriffenes Gesicht. Juan sah ihn ein wenig scheu von der Seite an und wartete auf das Urteil.
»Gefällt es Ihnen?« fragte er, als Dr. Osura schwieg.
»Ja, sehr. Es war schön, Juan.« Die Stimme des Arztes war mühsam ruhig. »Ich werde es meinem Freund schreiben. Er wird dir helfen.«
In Juans Augen glänzte es auf. »Ist das wahr?« rief er laut. »Dann habe ich drei Jahre nicht umsonst heimlich mit den Steinen gekämpft!«
»Nein, das hast du nicht …«
Dann fuhr Dr. Osura allein zurück nach Solana del Pino und ließ Juan in der Höhle zurück. Die Skizzenmappe hatte er mitgenommen, um sie seinem Freund Fredo Campillo nach Madrid zu schicken.
Langsam fuhr er durch die Berge. Das alte Gesicht war hart.
Ein Genie, dachte er. Ein einmaliges Genie! Gott gib, daß es erhalten bleibt und sich nicht verströmt. Wir alle haben diesen Juan nie gekannt … jetzt weiß ich, wer er ist.
Ein Mensch, der einmal seine Welt beglückt …
An diesem Abend fragte Concha, klug in die abendliche Unterhal tung eingeflochten, was für Menschen eigentlich die Torricos seien.
»Es sind fleißige Menschen«, sagte Ricardo Granja und blätterte die Zeitung herum. Er las einen Tatsachenbericht, in dem es von Spionen und Toten wimmelte. Der Abend war dann doppelt so schön für Ricardo Granja. »Es ist eine alte Familie, der alte Pedro war ein Schulfreund von mir. Arme Leute, mein Kind – aber gut, sehr gut. Der jüngste Sohn, der Juan, kann gut zeichnen und haut auch in Stein. Ist eine brotlose Kunst … aber er ist klug und ein netter Junge.«
Da fragte Concha nicht weiter, sondern beugte sich über ein Buch, das in ihrem Schoß lag.
Er ist klug, sagt der Vater, dachte sie. Wenn er wüßte, daß er auch lieb ist …
Einen Tag später war die Fiesta in Solana del Pino.
Das Dorf war bunt von Bändern und Girlanden, leuchtenden Kleidern und lustigen Menschen.
Auch Anita Torrico mit ihren beiden Söhnen war auf dem Festplatz und saß dick und lustig an den langen Tischen, trank ihren Rotwein und freute sich über Pedro und Juan, die auf dem Holzpodest mit den Töchtern der Nachbarn tanzten.
Eine Kapelle mit Mandolinen, Gitarren und Klarinetten spielte laut und fast ohne Pause. Ein wandernder Zigeunerstamm bot Tänze mit Temperament, und an den Weinbuden stauten sich die Bauern oder standen an dem großen Tisch, auf dem inmitten von Blumen der Obstkorb Ricardo Granjas thronte und auf einem Sockel die dunkle Steinplastik Juan Torricos.
Granja war in seliger Weinlaune, als er zu Anita an den Tisch kam und sich neben sie setzte. »Madonna!« rief er. »Dein Juan ist ein großer Kerl! Aus Granit so etwas herauszuhauen! Du kannst stolz auf ihn
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