Viele Mütter heißen Anita
einlöste und mit zwei Flaschen und einem Pillenröhrchen zurückkam.
»Hier ist deine Gesundheit, Juan«, lachte er fröhlich und warf ihm das Päckchen zu. »Wohl bekomm's!«
Und dann fuhren sie weiter, und Pedro sang mit seiner rauhen Stimme sogar ein altes Bauernlied, das vom schönen Mädchen handelte und dem Burschen, der es heimlich liebte.
Juan ist nichts geschehen, dachte er dabei, und dieser Gedanke war es, der ihn so lustig werden ließ. Er hat ein schwaches Herz … das ist nicht schlimm, das kann man heilen … Juchhei – die Sonne scheint, und die Felder blühen wieder, was will man noch mehr auf der Welt …
Das Pferd trabte über das Hochland, und selbst Juan mußte lächeln, als er Pedro singen sah. Er ergriff einen Teil der Zügel und lenkte mit. Pedro aber legte den Arm um seine Schultern und sang … sang …
So fuhren die Brüder Torrico heim zu der wartenden, unruhigen Mutter Anita …
Juan hatte kaum den Raum verlassen, als Dr. Osura zu dem Hörer seines Telefons griff und ein Ferngespräch mit Madrid anmeldete . Dabei überlegte er, was er eigentlich sagen wollte, wenn der Gerufene sich melden würde, denn was er zu sagen hatte, war so unge wöhnlich, daß es bestimmter Worte bedurfte, um es zu erklären.
Da niemand mehr um diese Mittagsstunde seine Praxis aufsuchte, schloß er die Außentür ab und dachte über das Schicksal Juans nach. Er betrachtete das Schicksal des Jungen mit den weisen, abgeklärten Augen des Alters.
Ricardo hatte den dummen Stolz eines schnellen Emporkömmlings, der es nie dulden würde, daß seine Tochter Concha dorthin zurückheiratete, woher er gekommen war. Der Vater Ricardos, Pablo Granja, war nur ein einfacher Hausierer gewesen, der sich ehrlich ernährte und sein Gewerbe redlich betrieb. Er sparte jeden entbehrlichen Peso, legte ihn in einen kleinen Lackkasten, der immer unter seinem Bett stand, und gründete mit diesem ersparten Geld einen kleinen Krämerladen in Fuencaliente am Fuße der Sierra Morena.
Seine Kinder hielt er streng und gerecht. Vor allem der schlaue Ricardo mußte schon früh das Geschäft seines Vaters teilen – er lernte statt der Bibel das Rechnen mit Brüchen und statt schöner Gedichte oder Lieder das Abwiegen von Mehl, Zucker und anderen Lebensmitteln. Ein reelles Abwiegen, nicht das, was Ricardo später einführte, indem er die Schwergewichte der Waage verstellte und alle Waren zu seinen Gunsten wog. Als der alte Pablo dann starb, ein rechtschaffener und geehrter Mann, begann der Aufstieg des damals zwanzigjährigen Ricardo Granja. Seine Heirat mit Pilar vermehrte seinen Wohlstand und ließ ihn reich werden, und er dachte nur noch mit einem Grausen an die Tage zurück, da er mit dem Vater und einem Bauchladen von Haus zu Haus in Villanueva zog und die Kramereien anbot. Und dieser Ricardo sollte es erlauben, daß der kleine, arme Bauer Juan Torrico seine Tochter ansah? Es war unmöglich, so unmöglich, wie auf den Felsen des Rebollero ein guter Weizen wachsen konnte.
Das Schellen des Telefons jagte Dr. Osura empor aus seinen Gedanken. Madrid – die Verständigung war dünn, aber es reichte, das zu sagen, was dringend war.
In Madrid saß ein dicker, älterer Mann in einem geschnitzten Sessel und wunderte sich, wer ihn aus Castilla verlangen konnte. Als er den Namen Dr. Osura hörte, lachte er breit und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Osura!« rief er. »Amigo mio – welch eine Überraschung. Zwei, nein drei Jahre habe ich nichts mehr von dir gehört! Altes Haus, wie geht es?«
Fredo Campillo freute sich wirklich. Osura hatte mit ihm in Granada studiert – er Kunstgeschichte, Osura Medizin. Beide waren sie arm gewesen und lebten von Gelegenheitsarbeiten zwischen den Vorlesungen, aßen gemeinsam in einer kleinen Wirtschaft das von den Gästen übriggelassene Essen hinten in der Küche und tranken gutes, reines Wasser dazu. Heute war Fredo Campillo Direktor der spanischen Kunstgalerie in Madrid, und Dr. Osura hatte eine gute Landpraxis. Ab und zu sah man sich, tauschte Erinnerungen aus, betrank sich an schwerem Tarragona und hörte dann wieder Jahre nichts voneinander.
Dr. Osura lächelte, als er die Stimme Campillos hörte. Auch er erinnerte sich mancher Erlebnisse, doch dann schob er die Vergangenheit mit einer Handbewegung zurück und preßte den Hörer an den Kopf.
»Camillo«, sagte er gedehnt. »Was hältst du von Bildhauerei?«
»He?« Fredo Campillo schüttelte den Kopf, als habe er einen Gehörfehler.
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