Viele Mütter heißen Anita
Grund dieser Unterhaltung zu verstehen, und er erschrak plötzlich, als er in das Herz dieser Mutter schaute, die nach innen weinte, weil sie in die Ecke geschoben wurde wie ein ausgedienter Gegenstand. »Juan hat Ihnen nichts gesagt, Anita?« fragte er leiser.
»Nein. Ich belauschte vor zwei Tagen eine Unterredung Juans mit Concha Granja und erfuhr es so.«
»Concha war auch hier?«
»Ja. Und sie küßten sich. Sie sprachen von Liebe. Das ist nicht gut, Doktor Osura, das gibt ein großes Unglück über unsere Familie. Ich fühle es, Doktor Osura, ich habe so vieles geahnt, was nachher gekommen ist. Du bist eine Hexe, hat mein Mann einmal gesagt, als ich ihn warnte. Und es traf alles ein, Herr Doktor, wie ich es gesagt hatte. Und auch jetzt weiß ich, daß es nicht gut ist, wenn ein Torrico eine Granja liebt. Juan ist ein Bauernsohn, und er soll ein Bauer bleiben.«
»Nein, Anita.« Dr. Osura setzte sich auf die Bank vor das Haus. »Juan ist ein kluger Kopf. Er hat mehr in sich, als Kühe zu hüten oder Äpfel zu pflücken. Er kann gut zeichnen, und er haut wunderschöne Bilder in Stein.«
»In seiner geheimen Höhle, nicht wahr?«
»Das wissen Sie auch?«
»Ich habe es gehört, als er mit Concha darüber sprach. Das Küchenfenster stand ein wenig offen, und ich wusch in der Küche. Ich habe sehr geweint, Doktor Osura.«
»Das glaube ich.« Der Arzt sah auf seine weißen Hände. »Juan hütet sein Geheimnis, als hinge sein Leben an ihm. Keiner weiß es außer Concha und mir. Concha, weil er sie liebt, ich, weil ich ihm helfen will.«
»Und seine Mutter? Habe ich ihm nicht sein ganzes Leben geholfen? Habe ich ihm nicht erst dieses Leben gegeben? Durch ihn habe ich das Wasser in den Körper bekommen – er hat meinen Körper krank gemacht … und jetzt wird es das Herz …« Anita stand in der Haustür, eine kleine, dicke Frau, aber in diesem Augenblick war sie groß und wuchs wie ein Samenkorn, das in Gottes offener Hand liegt.
Dr. Osura schwieg. Was soll man darauf sagen? Soll ich sie trösten mit der Wahrheit, daß einmal alle Söhne, selbst die besten unter ihnen, der Mutter entgleiten, wenn sie ein eigenes Leben führen mit Geheimnissen und Gedanken, Taten und Plänen. Soll ich ihr sagen, daß der Mann, der beginnt, eine Frau zu lieben, ein anderer Mensch wird als der brave Sohn, der seiner Mutter nichts verschwieg? So ist der Mensch nun eben, und die Tränen aller Mütter halten nicht die Schöpfung auf.
»Juan ist ein guter Sohn«, sagte er langsam, um sie zu trösten. »Laß ihm seine kleinen Geheimnisse, Anita. Jetzt ist es noch Scheu, Angst vor eurem Spott, der ihn zurückhält.«
»Ich habe nie gespottet über das, was er tat«, sagte Anita steif. »Ich habe ihm immer beigestanden. Ich war immer seine Mutter, die ihn verstand, auch wenn ich ihn nicht verstand.«
»Juan ist ein schwieriger Charakter!«
»Und ihr alle bestärkt ihn darin und tretet seine Mutter.«
»Anita!«
»Ja! Ihr tretet mich! Sie haben seine Zeichnungen – ich habe sie nie gesehen! Sie haben seine Steinwerke betrachtet – ich wußte bis vor zwei Tagen nichts davon. Er liebt Concha Granja, und zu mir sagt er, er liebt sie nicht und will sie nicht sehen! Sie wollen einen Freund aus Madrid holen …«
»Das wissen Sie auch?«
»Jetzt weiß ich alles!« schrie Anita auf.
»Mein Freund ist ein großer Mann, Anita.« Dr. Osura fühlte, wie wenig in diesen Augenblicken seine Worte galten, aber er mußte sprechen, um sein Inneres zu erleichtern. »Er ist Direktor der staatlichen Akademie in Madrid. Wenn dieser Freund sagt, daß Juan etwas kann, dann wird Juan einmal ein großer Bildhauer werden, von dem nicht nur Spanien, sondern die ganze Welt sprechen wird. Juan Torrico, dein Name, Anita, wird in aller Mund sein! Man wird seine Werke in Madrid, in Paris, London, Berlin, New York sehen. Ist das nicht herrlich?«
Anita sah den Arzt mit qualvollen Augen an. »Ich kenne diese ganzen Länder oder Städte nicht. Ich kenne nur die Sierra Morena, die Berge Castillas, und ich war glücklich in dieser Welt, bis ihr kamt, Concha, Sie und Ihr Freund in Madrid, bis ihr Juan von mir wegrisset und ihm zeigtet, wie arm er ist und wie reich er werden kann. Oh, das ist so gemein, so gemein …«
»Aber Anita! Das ist doch einfach nicht wahr!« Dr. Osura hob beide Arme. »Juan war es, der hinaus will. Juan spürt, daß er die Welt braucht, um sich zu entwickeln. Weiß du das denn nicht, Anita?«
»Nein! Nein – ich weiß es nicht.« Und
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