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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Herzspritze, eine schwache Lösung Cardiazol, denn nicht nur Leid, auch Glück kann einem kranken Herzen schädlich sein.
    Als Juan schlief und Pedro und Elvira in ihre obere Kammer gegangen waren, saßen Dr. Osura und Anita noch am Ofen zusammen. Sie sprachen eine lange Zeit nichts miteinander – der Schein des Feuers flackerte über ihre Gesichter und ließ sie ständig verändern.
    »Sie werden Juan mitnehmen?« sagte Anita endlich.
    »Ja, Anita. Er wird nach Toledo kommen.«
    »Wo ist Toledo?«
    »Es ist eine alte, schöne Stadt zwischen Puertollano und Madrid. Juan wird unter vielen jungen, lustigen Menschen seines Alters sein, und er wird viel lernen und sehen und zurückkommen als ein gesunder, schöner, gebildeter Mann, den ganz Spanien kennt.«
    Anita sah den Arzt von unten her fragend an. In ihrer Stimme war ein trauriger Ton.
    »Warum belügen Sie mich, wie Sie Juan und alle belügen?«
    »Wieso, Anita?« Dr. Osura fühlte, wie eine Kälte über seinen Körper strich. Sie ist wirklich eine Hexe, schauderte er. Sie weiß, was ich ahne – sie schaut tiefer in die Menschen hinein, als ich es mit einem Stethoskop kann – sie hört unsere Seelen und Gedanken.
    »Sie wissen, daß Juan nie gesund sein wird«, sagte Anita leise.
    »Aber das ist doch Dummheit, Anita!« Dr. Osura wand sich in seiner Schuld. »Es gibt heute Mittel, die fast jede Krankheit heilen! Man kann heute den Tod besiegen mit den phantastischsten Mitteln. Man kann zerstochene, zerschossene Herzen nähen, man kann den gesamten Blutkreislauf aus dem Körper herausnehmen und durch ein künstliches Herz außerhalb des Körpers leiten. Dann ist das Herz still, es schlägt nicht, es ist nur ein Klumpen Fleisch, den man in die Hand nehmen kann, und mit dem man alles machen kann, denn das künstliche Herz schlägt ja weiter und erhält das Leben des Menschen. Man kann heute Hautstücke überpflanzen, man kann Knochen nageln, künstliche Gelenke aus Plexiglas einsetzen, neue Adern einziehen, den Darm einfach verkürzen und Nieren herausnehmen. Ach, Anita – man kann so vieles … was ist da schon ein nervöses Herz, wie es Juan hat?«
    »Sein Herz ist nicht nervös.« Sie beugte sich über den Tisch vor. »Kann man auch das Blut ersetzen?«
    »Auch das, Anita. Man nennt es eine Transfusion. In die Hauptschlagader des Armes wird das gesunde Blut anderer Menschen in den Körper der Kranken gepumpt.«
    »Das kann man wirklich, Herr Doktor?«
    »Ja, Anita.«
    »Dann ist es gut.« Sie starrte in das Feuer, das über ihre Runzeln zuckte, als brenne es das Fleisch aus diesem alten Gesicht. »Wann wird Juan fahren?«
    »Sobald er wieder gesund ist. Ich bringe ihn selbst nach Toledo.« Dr. Osura legte seine Hand auf Anitas Arm. »Und bereiten Sie nichts vor, Anita … Ich habe für Juan alles gekauft, was er in der Stadt braucht.«
    »Und warum tun Sie das?« fragte Anita. In dieser Frage lag wieder Mißtrauen. Dr. Osura zuckte mit den Schultern.
    »Vielleicht, weil ich ihm nachempfinden kann, was es heißt, einem großen Ziele näher zu kommen«, sagte er leise. »Vielleicht, weil ich selbst einmal vor langen Jahren einen Traun besaß, den ich nie erreichte, weil ich allein war.« Er stand auf und stellte sich in den Schatten des Ofens. »Das Leben ist oft grausam, und dann sieht man plötzlich nach vielen Jahren, daß es doch gut so war und alles seinen Sinn besaß. Auch Ihr Leben, Anita …«
    Sie nickte. Und sie dachte dabei an Juan, der ihren Händen entglitt. Toledo, dachte sie. Ich habe diesen Namen nie gehört. Jetzt werde ich ihn nie vergessen. Toledo zwischen Puertollano und Madrid.
    Wie seltsam, daß ein Name eine neue Welt wird …
    Nach fünf Tagen durfte Juan das Bett wieder verlassen und draußen im Hof in der Sonne herumlaufen. Er war noch sehr schwach, er lief wie ein Betrunkener und schwankte bei jedem Schritt gleich den Seeleuten, die vom Schiff im Sturm auf die feste Erde kommen und nun das Wiegen der Wellen vermissen. Am Vormittag lag er auf einer Bastmatte in der Sonne vor dem Haus, trank Milch und knabberte an einer Melonenscheibe, und als nach dem Mittagessen Pedro und Elvira wieder an die Arbeit gingen und die Mutter spülte, kam er in das Haus und lachte, weil er sich kräftig fühlte und froh in dem Gedanken, in die große Stadt zu kommen.
    »Ich gehe etwas spazieren«, sagte er. »Ein bißchen über die Felder, ich bin gleich wieder da.«
    »Es ist gut, Juanito.« Anita sah ihm nach, wie er langsam den Hof verließ und sich dem

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