Viele Mütter heißen Anita
Tieren, so leid mir die kleinen, unschuldigen Viecher auch tun. Wenn Sie es wagen, an den Menschen zu gehen, kommt Ihnen die Regierung auf das Haupt! Sie wissen, was das bedeutet. Wenn bei uns ein Mensch durch ein Experiment stirbt, ist es Mord! Auf Mord steht der Tod durch die Garotte!«
»Was reden Sie da für eine Blödsinn?« sagte Moratalla unwillig. »Ich weiß selbst, wo meine Grenze ist.«
»Genies haben selten eine Grenze.« Dalias' Stimme war eindringlich und beschwörend. »Ich bitte Sie um alles in der Welt, Moratalla, lassen Sie sich nicht hinreißen, bei irgendeiner Operation Ihre Herzexperimente einzuschalten. Ich erfahre es doch, und es wäre für mich schmerzlich, gegen Sie, meinen Freund, Anklage wegen Mordes im Operationssaal erheben zu müssen!«
Moratalla hob die breiten Schultern. »Sie haben sich da plötzlich in einen Gedanken verrannt, der nichts Reales an sich hat. Ehe ich einem Menschen das Herz herausnehme, müssen meine Eingriffe in die Funktionen der Tierherzen ein voller Erfolg sein! Aber –« und seine Stimme hob sich und es schwang in ihr eine Energie, die Dalias emporriß – »wenn es mir an den Tieren gelungen ist, dann halten nicht Sie und die Regierung und alle Gesetze mich zurück, es auch am Menschen durchzuführen! Das bin ich den Millionen schuldig, die sich mit ihrem Herzen quälen und keine Hoffnung haben, jemals wieder gesund zu werden …«
Er trat vom Fenster in den Raum und legte Prof. Dalias die Hand auf die Schulter. Seine Augen lachten. »Versprechen Sie mir eins, Dalias?« fragte er.
»Wenn ich es erfüllen kann …«
»Sie können es bestimmt.« Moratalla lachte. »Kommen Sie und trinken Sie mit mir eine schöne Flasche Rheinwein und sagen Sie nicht ein einziges Wort mehr über Ärzte, Kranke oder Operationen …«
Sie gingen lachend zu dem Tisch zurück und setzten sich. Der Rauch ihrer Zigarren stand wie blaue Wolken in den Sonnenstrahlen, die ins Zimmer fielen. Die Sessel waren bequem und gut gepolstert, viel besser als die harten Lederhocker der Regierung. Es war überhaupt eine schöne Klinik, mustergültig in allem, was man suchen wollte. Prof. Dalias lehnte sich weit zurück, schlug die Beine übereinander und hob das Glas in die Sonne. Der Wein leuchtete golden, er war ein eingefangener Sommer.
Prof. Dalias trank ihn mit geschlossenen Augen, wie ein Genießer am Tische des Lukull.
Moratalla hatte die Hände gefaltet und sah ihm lächelnd zu.
Auf dem Schreibtisch am Fenster klingelte das Telefon. Der Riese erhob sich und nahm den Hörer ab. Dann wurde sein Gesicht traurig, und er blickte zu Dalias hinüber.
»Station drei«, sagte er bedauernd. »Doktor Tolax ruft mich. Neueinlieferung. Durchbrochene Magenwand. Ich muß operieren! Kommen Sie mit, Dalias?«
»Wenn Sie mich alten Meckerer dabei haben wollen – sehr gern.«
Dalias sprang auf. Moratalla zog an seiner Zigarre. »Sagen Sie Doktor Tolax, Schwester«, rief er in das Telefon, »er möchte den Patienten bereits bis zum Eingriff vorbereiten. Ich komme sofort.« Dann legte er den Hörer auf und stürzte sein Glas Wein hinunter. »So ist das«, sagte er dabei. »Wir haben nicht einmal Zeit, mit einem guten Freund ein Glas zu trinken …«
Und das Leben ging weiter, draußen vor der Stadt Madrid, an der Straße nach Barajas, in dem großen, fünfstöckigen Haus mit den breiten Fenstern und den langen, gläsernen Liegeterrassen nach Süden hin zum Park.
Die Klinik des Prof. Dr. Carlos Moratalla.
Im Saal III war es still. Nur die Instrumente klirrten leise. Der elektrische Kocher des Sterilkastens summte. Moratalla öffnete den Magen, und Dalias klammerte die Adern ab und saugte das Blut aus der klaffenden Wunde.
Toledo ist eine alte, berühmte und schöne Stadt.
Dort, wo der Tajo die vulkanischen Gesteinsmassen Neukastiliens durchbricht, klebt sie an einem mächtigen Granithügel, alt, wehrhaft, noch umweht von dem Atem der afrikanischen Mauren, die einst Herren dieses Landes waren. Umgeben von doppelt getürmten Mauern sieht sie aus wie eine mittelalterliche Festung, und nur die modernen weißen Villen und die hohen Geschäftshäuser außerhalb des Ringes zeigen, daß auch in Toledo die Zeit nicht stehengeblieben ist.
Am Abend und an den Feiertagen läuten die Glocken von sechsundzwanzig Kirchen über das Hochland von Neukastilien, schwillt der Gesang der tausend Betenden aus dem herrlichen Dom, der Kathedrale von Toledo, über die engen Straßen, wehen von dem neunzig Meter hohen
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