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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem Putz hervor, Granit, aus den Felsen um Toledo gebrochen, Häuser, die Jahrhunderte stehen können, wenn das Holzwerk in ihnen nicht zusammenbricht.
    Auf den Balkonen und über die Straßen, an langen Leinen gespannt, hängt die Wäsche. Das muß so sein in diesen Straßen am Fluß … der Wind trocknet die Wäsche gut, und die frische Luft des Wassers gibt der Wäsche einen schönen Duft. Wenn man auf einem dieser Balkone sitzt, am Abend, wenn auf den Hauptstraßen die Promenade sich vollzieht und am Fluß die leichten Mädchen ausschwärmen und ihr zweifelhaftes Brot verdienen, wenn drüben der Glaspalast der Akademie ein dunkler Fleck in der Landschaft ist, dann kann man von hier einen wunderschönen Blick auf die erleuchteten Brücken haben, auf die Stadt und die Kuppel der Kathedrale, deren tiefe Glocken die Stunden anschlagen. Dann ist der Granitfelsen hinter der Stadt wie eine große Hand, die sich schützend vor Toledo legt, und man fühlt sich geborgen und umgeben von unverblaßbarer Schönheit, ein Teil eines alten Volkes mit ewig jungem Herzen …
    Das Haus 41 der Rua de los Lezuza gehörte der Witwe Maria Sabinar, einer großen, sehr schlanken Dame mit ergrauten Haaren, die ein Zimmer an Studenten vermietete, weil ihr jüngster Sohn in Madrid ebenfalls bei einer Dame wohnte. Außerdem hatte sie das Geld der Miete für die Erhaltung dieses Studiums nötig, denn ihr verstorbener Mann, ein biederer Rechtsanwalt mit einer kleinen Praxis, hatte ihr nicht mehr hinterlassen als eben dieses Haus. Doch das sagte sie nicht, und man ließ es sie nicht merken, daß man es wußte … sie war vielleicht die einzige Dame in diesem Flußviertel und wurde von den Spaniern respektiert, deren Achtung und Gesellschaftsordnung auch heute noch in Europa einmalig ist.
    Sie empfing Juan Torrico mit der Würde und der Höflichkeit, die man einem Studenten entgegenbringt. Als der Wagen Dr. Osuras auf der Rua de los Lezuza hielt und Señora Sabinar einen raschen Blick aus dem Fenster warf, selbstverständlich hinter einem Vorhang verborgen, ordnete sie schnell die grauen Haare und ging hinunter, um eigenhändig die Tür zu öffnen, als die Zugschelle durch das Haus scholl.
    »Doktor Osura«, sagte der Arzt. »Wenn ich es wagen darf, zu fragen: Señora Sabinar?«
    »Ja, Señor.« Ein Arzt, dachte sie. Das ist eine Ehre, eine besondere Ehre. Sie öffnete die Tür weit und sah dem jungen Mann entgegen, der ein bißchen schüchtern und unbeholfen aus dem Auto kletterte und sich mit einer raschen Kopfwendung umsah.
    Meine neue Heimat für drei Jahre, durchfuhr es ihn. Eine enge Straße mit gespannter Wäsche, viele Kinder, die schmutzig im Staub spielten, ein paar glutäugige und geschminkte Mädchen, die mit schamlos entblößten Schultern aus einigen Fenstern sahen und seinen Einzug neugierig beobachteten, ein hohes, weißes Haus mit einem flachen Dach, bunten Fensterläden und einer großen, alten Frau, die ihm mit einem fast mütterlichen Lächeln zunickte.
    »Gefällt es Ihnen, Señor?« fragte Maria Sabinar.
    »Ja – sehr, Señora«, log Juan. Dann packte er seine Koffer mit festem Griff und schleppte sie in den Hausflur, wo er seiner neuen Hausherrin die Hand gab und sich tief verneigte.
    »Ein höflicher, junger Mann, der Señor Torrico«, lobte Maria Sabinar, als sie mit Dr. Osura allein in ihrem Salon war und einen heißen Kaffee servierte. »Ein wenig blaß und schmächtig ist er nur.«
    »Er war in der letzten Zeit öfter krank, Señora.« Dr. Osura nahm aus seiner Brieftasche einige Papiere heraus und ordnete sie auf dem kleinen Tisch. »Ich habe Ihnen hier einige Scheine der Regierung zu übergeben«, sagte er mit einem geschäftlichen Ton. »Die Regierung bezahlt hierdurch für ein Jahr im voraus die Miete und die volle Verpflegung für Herrn Juan Torrico.«
    »Für ein Jahr im voraus?!« Maria Sabinar schlug die Hände verzückt zusammen. »So viel Geld habe ich ja noch nie gesehen! Dann kann ich ja meinem Sohn einen neuen Anzug schenken …«
    »Das können Sie, Señora Sabinar.«
    »Und Señor Torrico ist wohl ein sehr einflußreicher Mann, weil die Regierung ihn so beschützt? Er kommt aus einem hochgestellten Haus?«
    Dr. Osura dachte an den Hof der Torricos in den Bergen der Santa Madrona und nickte verschmitzt. »Ein sehr hohes Haus sogar. Höher als alle Häuser in Toledo …«
    »Mein Gott! Und ich habe ihn in meinem Hauskleid empfangen! Wie schrecklich!« Maria Sabinar sank in einen kleinen Sessel. Sie war

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