Viele Mütter heißen Anita
ehrlich geknickt über diesen Fehltritt in der gesellschaftlichen Form. »Ich werde mich sofort umziehen, Señor Doktor«, versprach sie zur Abmilderung ihrer Untat.
Dr. Osura winkte lächelnd ab. Er bat um die Erlaubnis, rauchen zu dürfen, erhielt sie sofort und zündete sich eine Zigarre an. »Wenn ich Ihnen etwas sagen darf, Señora«, meinte er und drückte die etwas zu fest gerollte Zigarre an einigen Stellen, »so ist das: Herr Torrico ist ein stiller Mann, der lieber zurückgezogen lebt als im lauten Alltag. Er ist eine grüblerische Natur, und er besitzt einige Eigenheiten, die Sie bitte übersehen möchten.«
»Aber selbstverständlich.«
»Er wird fleißig lernen, wenig Besuch haben, keine Frauen vor allem, er wird vielleicht an den schönen Abenden darum bitten, den Balkon benutzen zu dürfen und sich an den studienfreien Tagen oben auf dem flachen Dach Ihres Hauses in die Sonne legen.«
»Es wird mir eine Ehre sein, ihn zufriedenzustellen, Señor Doktor.«
»Das freut mich.« Dr. Osura sah die Frau lange an. Ja, sie war eine gute Frau, bei ihr würde Juan aufblühen, sie würde ihn ummuttern, wie es Anita nicht besser könnte. Es würde nichts geben, was Juan bei dieser Frau nicht erreichte – sie war gütig und verständig, und sie war vor allem selbst eine Mutter, deren Sohn auf die Gunst fremder Leute angewiesen war. »Señora Sabinar«, sagte er noch, »es wäre mir lieb, wenn Sie mir – vielleicht jeden Monat einmal – einen kurzen Brief schrieben, wie es unserem Schützling geht, was er treibt, wie es ihm hier in Toledo gefällt und – na, Sie wissen ja, was man so alles wissen möchte. Darf ich Ihnen meine Adresse geben?« Er reichte seine Visitenkarte mit der Stadtadresse von Mestanza hinüber, und Maria Sabinar nahm sie mit Ehrfurcht und steckte sie in eine Tasche, die unterhalb ihrer Brust in das Kleid geschnitten war.
»Der Herr wird sich wohl fühlen«, versprach sie. »Er soll das beste Essen haben und Ruhe, soviel er will. Nur«, sie zögerte und wurde sehr verlegen. Ja, sie errötete sogar und blickte mit der etwas komischen Scham alter Frauen zu Boden. »Nur«, wiederholte sie, »die Gegend ist nicht die beste. Ich weiß nicht, ob der Herr sich an den Mädchen wird stören, die abends auf der Straße stehen und eine Schande für ganz Toledo sind.«
Dr. Osura hob wegwerfend die Hand. Er mußte lächeln. Juan und eine Dirne? Es war absurd, dieser Gedanke. »Señor Torrico sieht so etwas nicht«, sagte er ehrlich. »Er liebt ein Mädchen seiner Heimat. Und im übrigen weiß Herr Torrico auch gar nicht, welchem Gewerbe diese Mädchen nachgehen.«
»Oh, welch ein feiner Mensch.« Maria Sabinar war beglückt. Juan stieg in ihrer Achtung zu jener Höhe, wo die Achtung vor einem Menschen in einen Kult ausarten kann. Sie blickte Dr. Osura mit leuchtenden Augen an, und der alte Arzt, in seinem ganzen Leben nur ein Helfer seiner derben Bauern, senkte den Blick und fühlte sich unbehaglich in der Nähe dieser auch im Alter noch schönen und gepflegten Frau.
»Ich werde wieder fahren müssen«, sagte er deshalb, denn er schalt sich innerlich seiner Dummheit, vor einer Frau auf die Erde zu blicken. »Ich möchte mich von Juan verabschieden.«
»Sie wollen gehen?« Enttäuschungen hatten die Stimme Maria Sabinars zu einem feinfühligen Instrument ihrer seelischen Regungen gebildet. Auch jetzt schwang sie mit jenem zitternden Klang, der tiefes Bedauern symbolisierte. »Ich habe gehofft, Señor Doktor, daß wir diesen Abend noch nett auf dem Balkon zusammensitzen und gemeinsam über den Fluß sehen.« Und mit der diplomatischen Klugheit der Frau, die einen Mann genau versteht, fügte sie hinzu: »Ich glaube, daß der Abschied Señor Torrico leichter fällt, wenn er am nüchternen Morgen stattfindet als am melancholischen Abend.« Sie lächelte, und dieses Lächeln riß Dr. Osura völlig aus seinem Gleichgewicht. »Ein Abend in einer unbekannten Stadt … und ein so junger Mensch, fern von der Mutter … Er wird traurig sein, wenn Sie ihn heute am Abend allein lassen …«
»Wie Sie meinen«, sagte Dr. Osura mit belegter Stimme.
Und er blieb …
Am Abend saßen sie dann wirklich auf dem ziemlich großen Balkon und blickten über den Fluß und bestaunten die weit gespannten Brücken, das glitzernde Leben der Straßen jenseits des Flusses in der Neustadt und sahen hinüber zu dem jetzt noch hell erleuchteten Gebäude der Akademie – ein lichtdurchflossenes Schiff, das durch ein dunkles Meer
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