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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Moratalla?« wollte Juan wissen. Er hatte das Glas Orangensaft in der Hand und rührte mit einem Strohhalm in ihm herum, um den dünnen Bodensatz der ausgedrückten Früchte mit dem Sodawasser zu vermengen.
    »Einer der größten Chirurgen der Welt.« Dr. Osura freute sich, daß Juan sich unbewußt gegen die Absicht Frau Sabinars stellte und das Thema weiterspann, das einseitig festgefahren werden sollte. »Er wagt die schwierigsten Operationen und war einer der ersten, der mit einem winzigen elektrischen Sägerad einen Tumor aus dem Gehirn schälte, ohne die haarfeinen Nerven zu verletzen.«
    »Wie grauenhaft!« Maria Sabinar schüttelte sich ein wenig theatralisch. Sie wußte, daß es ihr gut zu Gesicht stand, und deshalb tat sie es öfter bei Gelegenheiten, in denen sie ein Mittelpunkt zu sein wünschte. »Anderen Leuten die Köpfe aufmeißeln und die Bäuche aufschneiden. Wie ein Fleischer! Nein, da lobe ich mir den stillen, opferbereiten Landarzt, der stundenlang durch die Berge fährt, um eine kleine Spritze gegen Rheumatismus zu geben. Das sind die wahren Helfer der armen Menschheit.«
    Dr. Osura sah mit ungeheuer großem Interesse hinunter in den Fluß. Dort schaukelte ein Kahn, und ein später Angler saß hinter seinem Fanggerät und starrte auf den bunt bemalten Korkschwimmer.
    Juan beugte sich etwas zu Maria Sabinar vor, die vergeblich auf eine Antwort Dr. Osuras wartete.
    »Sind Sie sehr böse, Señora«, fragte er, »wenn ich auf mein Zimmer gehe? Die Reise hat mich angestrengt, und ich muß morgen früh ja frisch sein, wenn ich mich vorstellen gehe.«
    »Aber bitte, bitte …« Frau Sabinar sprang auf. »Sie sind hier Ihr freier Herr. Sie können tun, zu was Sie Lust haben.« Sie riß die Tür zum Zimmer auf und nickte gütig: »Gute Nacht, Herr Torrico. Gute Nacht …«
    Dr. Osura war ebenfalls aufgesprungen. Das Alleinsein mit Frau Sabinar scheute er, vielleicht, weil er wenig Übung im Umgang mit Frauen und besonders Witwen hatte, vielleicht auch, weil er wirklich müde und froh war, daß Juan den schönen Abend auf dem Balkon lieber gegen ein weiches Bett vertauschen wollte.
    »Sie auch, Herr Doktor?« sagte Frau Sabinar traurig.
    »Ich habe den Wagen gefahren, Señora. Das ermüdet sehr. Und wie ich sagte, muß auch ich früh wieder nach Mestanza zurück. Bitte, entschuldigen Sie …«
    Und er lief Juan nach, der hinauf auf sein Zimmer ging, hakte sich bei ihm unter und flüsterte ihm zu: »Wir bleiben noch zusammen, Juan. Psst, keine Antwort – die Alte sieht uns nach.« Und oben in Juans Zimmer ließ er sich aufseufzend in einen Sessel fallen und wischte sich mit einem großen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Juan«, meinte er, »ich glaube, ich werde dich selten besuchen. Toledo ist ein gefährliches Pflaster für mich …« Dann rauchte er wieder und half Juan, die Koffer auszupacken und die Kleidung und die Wäsche in den Schrank und die geschnitzte, mit maurischen Zeichen gespickte Kommode zu legen.
    Sie saßen noch lange wach und sprachen wenig. Sie wußten, daß es ein Abschied für lange Zeit war, eine Zeit, in der Juan ganz auf sich allein gestellt war und herauswachsen mußte aus der Scheu eines Bergbauern, um inmitten des freieren Lebens nicht unterzugehen und übergangen zu werden.
    Bevor sich Juan niederlegte und Dr. Osura auf einem Sofa seine Schlafstatt aufbaute, holte er aus seiner Tasche noch einmal sein Stethoskop und tastete die Lunge und das Herz Juans ab. Das Herz schlug kräftig, aber unregelmäßig – es konnte Nervosität sein, es konnte aber auch ein organischer Fehler sein, eine Herzklappenverengung, eine Verwachsung der Klappenzipfel und damit eine Stenose, welche einmal, wenn die Blutstauung an den schwerfällig sich dem Blutstrom öffnenden Klappen zu stark wird, zu plötzlichen schweren Schäden führen kann. Wieder horchte Dr. Osura die Brust Juans ab, beklopfte sie und lauschte auf den klappernden, gehemmten Schlag des Herzens. Es kann auch eine Aorteninsuffizienz sein, eine Schlußunfähigkeit der Körperschlagaderklappen. Damit kann er alt werden, steinalt. Es kann so vieles sein, und ich wage es nicht, die richtige Diagnose zu stellen, weil ich nicht sicher bin, was es sein könnte, dachte er und kam seiner Hilflosigkeit entgegen, indem er das Stethoskop wieder zusammenrollte und Juan beruhigend anlächelte.
    »Noch sehr nervös«, sagte er leichthin. »Du mußt dich schonen, Juan. Viel Ruhe, im Schatten liegen, dich nicht anstrengen oder aufregen,

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