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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schwimmt.
    Dr. Osura zeigte mit ausgestrecktem Arm über den Fluß und sah Juan an, der still in seinem Korbsessel saß und den eisgekühlten Orangensaft trank. Er hatte einen hellgrauen Anzug an, der ihm gut stand. Das Hemd war am Hals offen und ließ den schmalen, asketischen Kopf wie aus weißen Kelchblättern emporwachsen.
    »Dort drüben ist die Schule«, sagte er. »Morgen stehst du auch dort in einem der Zimmer und mußt zeigen, was du kannst.«
    »Wollen Sie ein großer Maler werden?« fragte Maria Sabinar.
    »Nein, ich haue in Stein.« Juan lächelte höflich. Er war es ja nicht gewöhnt, sich mit Damen zu unterhalten, und es wäre undenkbar gewesen, wenn er so gesprochen hätte, wie er sich oft mit seinen Kühen auf der Weide unterhielt, wenn er unter ihnen saß und ihnen erzählte, was er gelesen oder gesehen hatte. Er sah Frau Sabinar mit der unsicheren Höflichkeit an, die allen aus ihrem Lebenskreis Gerissenen zu eigen ist, und wagte es dann nicht mehr, näher darauf einzugehen.
    »Ein Bildhauer!« rief Maria Sabinar entzückt. »Nein, wie herrlich! Ich habe einmal im Film einige Bildwerke gesehen.« Sie schaute wieder schamhaft zu Boden. »Sie waren sogar nackt«, sagte sie mit leiser Stimme.
    »Der Künstler sieht in der Nacktheit nur die Ästhetik des menschlichen Körpers«, meinte Dr. Osura mit jener tiefen Befriedigung, ein Gebiet gefunden zu haben, mit dem er Frau Sabinar in eine moralische Enge treiben konnte. Sie errötete denn auch, und es war fürwahr ein merkwürdiger Anblick, eine Frau unter grauen Haaren erröten zu sehen.
    Der Abend war voll Frieden und durchzogen vom Geruch des Wassers, der vom Tajo hinauf auf den Balkon stieg, von den Rosen, die in hellgrünen Blumenkästen auf dem Boden des Balkons standen, und von dem Lachen der Mädchen auf der rückwärtigen Straße, die mit einigen Männern anscheinend sehr lustige Gespräche führten.
    Maria Sabinar seufzte ein wenig und blickte Dr. Osura an, der eine seiner Zigarren rauchte und sich freute, daß es auf der Welt und in der Hast des Modernen noch solche Abende gab, an denen man so ganz ein Mensch war … ganz ein Ich! Jenseits des breiten Tajo, hinter der Kunstakademie und den weißen Villen, begann wieder das trostlose einsame Land Kastilien, jene Hochebene, die der stillste Fleck Europas ist, steinig, staubig, kaum bewachsen, unfruchtbar und von Menschen geliebt, denen die Härte des Gesteins, auf dem sie lebten, in ihr Gesicht geschnitten war, in diese kantigen, gar nicht südländischen Gesichter, in deren Falten ständig der Staub der abgerungenen Felder lag und die Sehnsucht nach einem besseren Leben, gleichwie in den Gesichtern der chinesischen Bauern im Norden oder Süden, wenn die Dürre über sie kommt oder der Wassergott ihre Felder überflutet.
    »Morgen ist diese Zeit wieder vorbei«, dachte er laut, und Juan fuhr zusammen, denn ihn überkam das Bewußtsein, daß er morgen allein in dieser fremden, schönen, ihm in ihrer Pracht unheimlichen Stadt sein würde, allein ohne die Ruhe und das tröstende Wort des Freundes, allein mit der Angst des ersten Schrittes in dieses große, erleuchtete Glasgebäude und die Gegenüberstellung mit dem Direktor, dem berühmten Bildhauer Ramirez Tortosa.
    »Wann werden Sie fahren, Doktor Osura?« fragte Juan leise.
    »Sehr früh, Juan. Ich habe morgen mittag wieder meine Kranken zu versorgen. Sie warten auf mich.«
    »Es muß schön sein, einen Beruf zu haben, der den Menschen Hilfe bringt«, meinte Maria Sabinar diplomatisch. »Ich schaue gern zu Männern auf, die mitten im Leben stehen …«
    Dr. Osura empfand ein sehr starkes Interesse für seine bestimmt gute Zigarre – er drehte sie in den Fingern, besah sich die lange, weiße Asche und roch überflüssigerweise an dem hellbraunen Deckblatt. Das enthob ihn einer sofortigen Antwort, denn er war sich nicht ganz einig, was er auf diese Rede der alten Dame antworten sollte.
    »Ich bin nur ein kleiner Landarzt«, sagte er bescheiden. »Ich verschreibe Pillen und schneide ab und zu einmal einen Furunkel auf oder einen Blinddarm heraus. Mehr aber auch nicht. Meine Bauern in der Santa Madrona sind selten krank, und wenn sie kommen, dann haben sie einen Unfall oder sonst ein Leiden, an dem sie dann auch ganz sicher sterben werden, weil sie erst kommen, wenn es zu spät ist, ihnen noch zu helfen. Männer wie Professor Moratalla verdienen es, geachtet zu werden. Ich, Señora Sabinar, bin gegen sie ein Stümper.«
    »Wer ist Professor

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