Viele Mütter heißen Anita
wenig Gewürze ins Essen tun, vor allem kein Salz.« Er nahm aus seiner Tasche eine große, flache Schachtel mit weißen Tabletten und schob sie Juan auf den Nachttisch. »Hier, nimm die Tabletten vorsichtig. Es ist Digitalis. Für das Herz sehr gut in kleinen Mengen. Mein Vater hat es schon genommen, und der wurde vierundachtzig Jahre alt. Nur vorsichtig nehmen, Juan … wenn du es zuviel nimmst, wird der Puls schwach und setzt schließlich ganz aus.«
»Ich danke Ihnen, Doktor Osura.« Juan nahm das Kästchen und schob es in die Schublade des kleinen Tisches. »Ich werde Ihnen laufend schreiben, was mein Herz macht.« Er lächelte zuversichtlich. »Aber ich glaube, daß es sich jetzt erholen wird. Die schöne Stadt, die andere Luft, und das Glück, arbeiten zu können. Es ist ja so ein schönes Gefühl, Doktor Osura …«
»Das glaube ich dir, Juan.« Der Arzt löschte das Licht. Durch das breite Fenster, vor das sie nicht den bunten Vorhang gezogen hatten, drang fahl das Licht von der Brückenbeleuchtung und den Straßen.
»Jetzt liegen sie auch im Bett«, sagte Juan leise. »Die Mutter, Pedro und Elvira. Und Concha … und sie alle denken an mich …«
Dr. Osura drehte sich nach ihm um.
»Du darfst nicht so viel an zu Hause denken. Du bist jetzt in Toledo, was hinter dir liegt, muß jetzt blasser werden, Juan. Es geht um die Zukunft.«
»Aber ich glaube, daß ich Heimweh bekomme, Doktor Osura«, sagte Juan leise.
»Das haben wir alle gehabt, mein Junge. Das beste Mittel dagegen ist die Arbeit. Solange du in deiner Arbeit stehst, hast du keine Zeit, an das Zurückliegende zu denken. Und wenn du merkst, Juan, daß es in der Kehle zu brennen und zu würgen beginnt, dann setz dich hin und zeichne oder entwerfe ein neues Tonmodell oder geh zu einem Kameraden und sei lustig. Heimweh ist eine böse Krankheit … gerade für dich, Juan …«
»Ich will versuchen zu tun, was Sie sagen.« Juan deckte sich mit einer leichten Wolldecke zu, denn es war ein warmer Abend, den auch der Tajo vor dem Fenster nicht zu kühlen vermochte.
So lagen sie eine Zeitlang wach, aber sie sprachen nicht mehr. Aus der unteren Etage hörte man schwache Geräusche. Maria Sabinar schien noch zu arbeiten – ganz leise hörte man die Klänge eines Radios durch die Diele. Es war eine ferne, undeutliche Musik, die ungemein einschläfernd wirkte.
Dr. Osura gähnte. Nach diesem Gähnen schlief er ein. Sein tiefer, regelmäßiger Atem erfüllte schnell den Raum.
Leise hob Juan den Kopf. Dann stand er vorsichtig auf, ging auf Zehenspitzen an dem Bett Dr. Osuras vorbei und trat an das Fenster. Er lehnte den Kopf an die Scheibe und starrte hinaus in die Nacht, in diese erste Nacht seines Lebens, die er nicht auf seinem Strohsack in der Kammer hinter der Küche verbrachte, umgeben von dem raschelnden Huschen der Mäuse auf dem Oberboden und dem seufzenden Atem der Mutter, die neben dem Herd lag und ihre wasserdicken Beine auf ein weiches Kissen gebettet hatte.
Der Glaspalast der Akademie war dunkel. Nur unten in der Pförtner- und Hausmeisterwohnung war noch ein Fenster erleuchtet. Der Tajo lag unter dem Fenster wie ein Streifen Teer. Auf den Brücken brannten nur noch die Notlampen. Und hinter ihnen lagen die schlafenden weißen Häuser wie bizarre Flecke in der nachtfahlen Landschaft. Und dahinter begann die Einsamkeit Kastiliens, das Hochland, das bis nach Solana del Pino und weiter, über die Sierra Morena, führt, das Hochland mit den Schafherden und den kargen Feldern, den kleinen Gärten und dem knochigen Vieh, das gerade so viel geben konnte, daß es im Bauernhaushalt reichte.
Dort lagen die Dörfer, menschenvergessen, zwischen Granitfelsen, durch deren Schluchten nur die Zigeuner zogen, wenn sie, von Granada kommend, aus den berühmten Höhlen, nach Nordwesten wanderten, um die Märkte mit Gaukeleien zu bevölkern. Dort war auch der Heilige, dessen Krummstab Wasser gab, dort lebte Concha in einem großen, weißen Haus von einem großen Garten umgeben, dort lag jetzt die Mutter unter dem Bild der Maria von Fatima und dachte an ihn.
Und Juan starrte hinaus auf die fremde Stadt, und er war traurig und müde, kraftlos und ängstlich vor dem, was ihn erwartete.
Als Dr. Osura sich im Schlaf umwandte und sich prustend auf die andere Seite drehte, rannte er zu seinem Bett zurück und kroch unter die Decke.
Die erste Nacht an der Schwelle eines neuen Lebens durchwachte Juan. Er konnte sich nicht losreißen von den Gedanken an die Heimat,
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