Viele Mütter heißen Anita
eingefallen, mehr ein Toter als ein Lebender. Auf dem Flur deckte man ein Tuch über seinen Kopf … und dann schob man die Bahre über die weißen, schwach erleuchteten Gänge in einen Fahrstuhl, fuhr ihn hinunter in ein kleines, kahles Zimmer, legte Juan in ein Bett, und während der Assistent mit der Stationsschwester wachte, bis die Ohnmacht vorüberging, saßen die anderen Ärzte im Zimmer des Professors vor einer starken Tischlampe und hoben die beiden entwickelten Röntgenplatten gegen das Licht.
Die Diagnose war eindeutig und klar.
Geschwür im noch primären Stadium innerhalb der Herzbeutelwand mit Angriff auf das Gewebe.
Ein unheilbarer Fall.
Ein klares, nüchternes, einfaches Todesurteil …
Der Professor legte die Platten auf seinen Schreibtisch und brannte sich eine Zigarre an. Die anderen Ärzte rauchten bereits.
»Wir können und dürfen es ihm nicht sagen.« Die Stimme des Professors war eindringlich. »Ich werde mit Professor Tortosa von der Akademie sprechen und den Arzt aus der Heimatstadt Torricos benachrichtigen. Er muß sein Studium aufgeben. Vielleicht kann absolute Ruhe sein Leben etwas verlängern … liegen und ausruhen und warten, bis er stirbt … das ist das, was ich ihm verordnen kann. Wenn die großen Schmerzen kommen – Morphium!«
»Schrecklich!«
»Es gibt Schlimmeres. Denken Sie an den Krebs oder an die Multiple Sklerose oder an die Gehirnhautentzündung, die lebenslängliche Blödheit erzeugen kann. Wenn dieser Juan Glück hat, stirbt er, ohne daß er es weiß, innerhalb eines Herzschlages. Eine kurze Übelkeit – das ist dann alles, was er noch spürt.« Der Professor legte die Zigarre hin – sie schmeckte ihm nicht mehr. »Fürwahr ein billiger Trost …«, sagte er leise.
In seinem Zimmer lag Juan und blickte sich um. Vor seinen Augen schwirrte es noch, es war, als hätte sich die Welt in einen Schleier aufgelöst, durch den die Dinge schwerelos flogen. Doch dann ver dichteten sich die Bilder … er sah eine weiße Wand mit einem al ten, hölzernen Kruzifix, einen Stuhl, ein Bett, einen weißen Tisch mit einer Vase voller verwelkter Blumen, und dann kam ein Gesicht über ihn, das Gesicht eines Mannes, neben dem das Gesicht einer Schwester mit großer, weißer Haube auftauchte. Und plötzlich wußte er, daß er in tiefer Ohnmacht lag, nachdem er in dem Tanzlokal mitten im Tanz in den Armen Jacquinas zusammengebrochen war.
Er richtete sich auf, aber eine Hand drückte ihn in das Kissen zurück.
»Ruhig«, sagte eine Männerstimme. »Sie sind in einem Krankenhaus – ja, es stimmt. Sie wurden ohnmächtig, und man hat Sie hierher gebracht.«
Der Oberarzt beugte sich wieder vor, und Juan sah seine gütigen Augen und hatte Vertrauen zu diesem Mann.
»War es sehr schlimm?« fragte er leise.
»Nein.« Die Schwester verließ das Zimmer, Juan hörte die Tür klappen. Der Oberarzt fühlte den Puls und log mit lächelnder Miene. »Na, sehen Sie, es geht wieder ganz gut. Noch zwei Tage Ruhe, und Sie können wieder gehen.«
»Zwei Tage? Aber ich muß doch morgen zur Akademie!«
»Das hat Zeit. Wir werden Herrn Tortosa benachrichtigen und Ihnen für die beiden Tage ein Attest ausstellen. Ruhen Sie sich erst ein wenig aus.«
»Und …« Juan stockte und sah den Arzt mit großen, bittenden Augen an. »Und es ist nichts Ernstes … mit meinem Herzen …?«
Der Oberarzt hielt diesen Blick aus – er wurde nicht rot, er stockte nicht mit der Antwort … wie oft muß man einem Patienten das Gegenteil sagen, um ihm den Mut am Leben nicht zu nehmen. »Nein«, antwortete er fest. »Es ist nichts, nur eine vorübergehende Schwäche. – Haben Sie diese Anfälle schon öfter gehabt?«
»Drei- oder viermal – ja. Doktor Osura sagte, es sei eine Verengung der Herzkranzarterie.«
»Wer ist Doktor Osura?«
»Unser Arzt in Mestanza. Er behandelte mich bisher.« Juan wurde unruhig. »Hatte er nicht recht, Doktor?«
»Doch, doch. Es ist etwas Ähnliches. Nichts Wichtiges. Wenn Sie sich viel Ruhe gönnen, biegen wir das schon wieder gerade. Sie sind ja noch so jung.«
»Neunzehn Jahre, Herr Doktor.«
»Sehen Sie. Als ich so alt war wie Sie, war ich auch Student. In Paris. Es war eine schöne Zeit. Und ich war verliebt in eine kleine Jeanette.«
Juan lächelte schwach. »Sie machen mir Mut, Herr Doktor.«
»Mut ist die kräftigste Medizin, mein Bester.« Der Oberarzt beugte sich etwas zu Juan vor. »Und Sie werden noch viel Mut gebrauchen können, Juan.«
»Was macht
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