Viele Mütter heißen Anita
Toledo. Ich bin ja so glücklich und froh. Ich fühle, daß ich hier gesund werde, eben nur deshalb, weil ich so fröhlich bin …‹
Da schlug Tortosa die Hände vor die Augen und wandte sich ab und schluchzte.
Dr. Osura und Fredo Campillo trafen am übernächsten Tag fast zur gleichen Zeit ein. Juan war aus dem Krankenhaus entlassen worden und saß bei der rührend um in besorgten Frau Sabinar im bes ten Zimmer im Sessel und erhielt, wonach ihn verlangte. Tortosa hatte ihn selbst mit seinem großen Auto von der Klinik nach Hause gebracht und ihm eine Woche Urlaub gegeben. Damit er nichts versäumte, hatte er ihm versprochen, Prof. Yehno jeden Abend eine Stunde zu ihm zu schicken, um ihm das Neueste zu erklären. In ei ner Woche sollte der Unterricht dann wieder aufgenommen wer den, und Juan war froh, daß er zu Hause bleiben konnte, denn er fühlte sich dieses Mal müder als sonst nach einem Anfall. Er saß am Fenster und las viel – Frau Sabinar rannte und kaufte ihm neue Bü cher und freute sich, daß er darüber so glücklich war.
Von der Zusammenkunft Dr. Osuras, Fredo Campillos und Tortosas wußte er nichts. Wenn auch Dr. Osura ihn gerne gesehen und gesprochen hätte, die Größe dieser Aussprache und die Bedeutung für das noch kurze Leben Juans verboten ihm ein kurzes Wiedersehen mit seinem unglücklichen jungen Freund.
Dr. Osura war entsetzt, als man ihm das Krankheitsbild Juans vorlegte. Der Professor und der Oberarzt empfingen ihn sofort, als er bei der Klinik nachfragte, und schilderten ihm den Fall mit der Nüchternheit der Kliniker. Sie ließen keinen Zweifel aufkommen und bestätigten dem zusammengebrochenen Dr. Osura kollegial, daß auch sie an seiner Stelle den Jungen auf Kreislaufstörung behandelt hätten, wenn sie nicht die Möglichkeit einer Durchleuchtung gehabt hätten.
In diesen Augenblicken dachte Dr. Osura an Anita Torrico.
»Ich bin eine Hexe«, hatte sie gesagt. »Und ich weiß, daß Juan krank ist, sehr krank. Es ist nicht das Herz … es ist das Blut … ich weiß es … mein armer Juanito …«
»Seine Mutter weiß es«, sagte er leise.
»Was!« Der Professor und der Oberarzt fuhren auf. »Hat Professor Tortosa doch gesprochen?!«
»Nein. Sie weiß, daß Juan sehr krank ist. Sie wollte ihn gar nicht weglassen. Ich hielt es für eine Laune und beruhigte sie. Allerdings vergeblich. Ich hielt es für eine Herzschwäche auf Grund eines nervösen Verdrängungskomplexes, an dem Juan litt. Jetzt weiß ich, daß seine Mutter fühlte, was er wirklich hat.« Er sah die Ärzte mit verzweifelten Augen an. »Meine Herren, entbinden Sie mich von der Schweigepflicht. Ich muß es seiner Mutter sagen!«
»Unmöglich!« Der Professor sprang auf und ging erregt hin und her. »Sie würde zusammenbrechen, einen Nervenschock bekommen oder es ihm selbst sagen, was noch schlimmer wäre!«
»Nein! Sie würde nichts sagen! Sie würde schweigen.«
»Das tut keine Mutter!«
»Gerade! Eine Mutter kann schweigen, um das Leben ihres Kindes zu verlängern. Ich verbürge mich dafür, meine Herren.«
»Wie Sie wollen.« Der Oberarzt sah seinen Chef an. »Wir müssen Sie dann allein verantwortlich machen für alles, was aus dem Bruch der Schweigepflicht entsteht. Wir distanzieren uns dann.«
»Bitte, meine Herren.«
»Und wenn ein Unglück daraus entsteht? Sie wissen, daß Sie ihre Praxis entzogen bekommen.«
»Es wird nichts entstehen. Anita Torrico liebt ihren Juan abgöttisch. Sie wird alles unternehmen, um die wenigen Jahre oder das eine Jahr nur, das er zu leben hat, so schön wie nur möglich zu machen, ohne daß Juan merkt, warum sie es tut. Sie wird still leiden, wie es Millionen Mütter taten und tun werden, eben, weil sie nichts anderes ist als eine Mutter.«
Der Professor gab Dr. Osura die Hand und drückte sie fest. In diesem Druck lag Hochachtung, aber auch die Warnung, nicht zu sehr auf die Seele des Menschen zu vertrauen.
»Machen Sie, Herr Kollege, was Sie für gut finden«, sagte er langsam. »Wir kennen diese Frau Torrico nicht. Wenn sie ihrem Sohn helfen kann durch ihre Mütterlichkeit, so ist das eine gute Pflege. Im übrigen – wie hat sich Professor Tortosa entschieden?«
»Juan Torrico wird reisen.«
»Also doch! Es ist wirklich das beste. Und wohin?«
»Zuerst nach Madrid. Fredo Campillo will ihn vier Wochen bei sich aufnehmen und ihm alle Schönheiten der Stadt zeigen.«
»Das ist ein sehr guter Plan.«
»Ja. Und dann soll er nach San Sebastian und nach Bilbao reisen,
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