Viele Mütter heißen Anita
Auch der Herr Professor wird kommen.«
»Das ist sehr gut.« Der Oberarzt richtete sich auf, rollte das Membranstethoskop auf und steckte es in die Tasche seines weißen Mantels. Dann deckte er Juan zu und sah wieder den älteren Kollegen an, der die Einlieferung verursacht hatte. »Wenn das Röntgenbild nichts ergibt, stehen wir vor einem Rätsel«, meinte er langsam. »Wissen Sie genaueres über den jungen Mann?«
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nur, daß er Kunststudent an der hiesigen Akademie ist. Ein Mädchen, das einen ziemlich lockeren Eindruck macht, begleitete ihn in die Taberna des Bonillo, wo er den Anfall bekam. Ich dachte zuerst an einen Kollaps – aber was ich jetzt sehe, macht auch mich stutzig.« Die Bahre wurde aus dem Verbandraum gefahren, ihr folgte die Operationsschwester. Der Oberarzt sah ihr nach, nachdenklich und wie es schien auch sehr besorgt.
»Kommen Sie mit, Herr Kollege?«
»Sehr gern.«
»Bitte – gehen wir …«
Als sie den Röntgenraum betraten, hatte der Assistent Juans Oberkörper bereits entblößt, und eine Schwester senkte den Apparat zur Plattenaufnahme auf die Brust. Die Herzgegend und die umliegenden Gebiete des Brustkorbes wurden aufgenommen – einmal von vorn und einmal vom Rücken aus. Dann hob man den noch immer bewußtlosen Juan auf einen Tisch, schnallte ihn daran fest und schraubte den Tisch an einer Seite in die Höhe, so daß der Körper fast stehend war. An ihn heran wurde ein Spezialdurchleuchtungs-Apparat geschoben, dessen Bildschirm matt schimmerte.
Das Licht verlosch. In ihren langen Gummischürzen saßen die Ärzte vor dem Schirm, der jetzt grünlich-weiß aufleuchtete und die Rippenbögen deutlich erkennen ließ. Langsam schob der Oberarzt den Schirm näher – das Bild wurde klarer und plastischer, man sah die Lunge, das Herz, die Speise- und Luftröhre.
Im Hintergrund klappte eine Tür. Man sah sich nicht um, aber etwas wie eine Straffung ging durch die sitzenden Körper der Ärzte. Der Professor war eingetreten. Er stand still hinter dem Oberarzt und sah auf das Herz, das schwach schlug. Es war von einer merkwürdigen Undeutlichkeit. An einer Stelle zeigte sich ein schwacher, dunklerer Fleck.
»Na?« fragte eine leise Stimme hinter den Ärzten. »Da ist es ja.«
»Ganz recht, Herr Professor.« Der Oberarzt winkte mit erhobenem Arm – der Leuchtschirm erlosch, und die Lichter flammten an der Decke auf. Er drehte sich um und gab dem kleinen Mann, der in einem hellen Anzug vor ihm stand, die Hand. »Ein Geschwür innerhalb des Herzbeutels. An oder in der Herzbeutelwand. Das werden die Aufnahmen zeigen. Ich habe es mir gleich gedacht.«
Der Arzt aus der Taberna Bonillo fuhr sich über die Augen. Seine Hand zitterte stark. »Das Leben ist grausam«, sagte er leise.
Der Professor und der Oberarzt sahen ihn an. Sie wußten, was er meinte. Sie blickten auf Juan und bissen sich auf die Lippen.
»Wie alt ist er?« fragte der Professor.
»Neunzehn Jahre.«
»Er kann noch ein Jahr leben … vielleicht auch zwei. Dann hat das Geschwür das Herz abgedrückt. Aber diese zwei Jahre werden eine einzige, eine furchtbare, ja, eine grauenhafte Qual sein.«
»Und wenn wir operieren?« fragte der Oberarzt, als wolle er sich aufbäumen gegen dieses gnadenlose Schicksal.
Der Professor hob die schmalen Schultern. »Ich muß erst die Aufnahmen sehen. Ist das Geschwür im Herzbeutel, ist es aussichtslos. Ich kann doch keinen Herzbeutel verkleinern und das schlechte Gewebe einfach herausschneiden.«
Der alte Arzt aus der Taberna sah zu Boden. »Die Grenzen der Menschheit … hier sehen wir sie«, sagte er leise. »Mein Gott, wie klein sind wir doch, meine Herren …«
Der Oberarzt setzte sich, während man Juan losschnallte und zurück auf die Bahre legte, die ihn in eines der Einzelzimmer im Erdgeschoß fahren sollte. »Wir können eins«, sagte er, um den Eindruck der Hilflosigkeit abzuschwächen. »Wenn das Geschwür zu sehr sekretiert, können wir die Geschwürflüssigkeit aus dem Herzbeutel entfernen und dann versuchen, im gleichen Operationsakt das Geschwür aufzuhalten. Aber es ist nur eine Verlängerung des Lebens – keine Rettung. Eine Verlängerung der Qual, langsam zu sterben …«
»Und sonst gibt es nichts?«
Der Professor schloß die Augen. »Nein«, sagte er mit müder Stimme, in der das ganze Versagen des Menschen lag. »Sonst gibt es nichts …«
»Armer Kerl …«
Sie sahen Juan nach, wie er aus dem Röntgenraum gerollt wurde … blaß,
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