Vielen Dank für das Leben
erloschen lag der Kartoffelsalat auf einem Pappteller. Die Kollegen aus Verwaltung und verschiedenen Gewerken waren bereits gut betrunken. Das war es, worauf sie ein Jahr gewartet hatten. Sich umsonst betrinken und vielleicht umsonst einen Geschlechtsverkehr abstauben, sich versichern, dass sie in dem besten aller Angestelltenverhältnisse aufgehoben waren, ein Kollektiv wie Pech und Schwefel. Da wurde Volksmusik gespielt, Schlager, Status Quo, da wurde getanzt, Frauen schrien, Männer lallten. Ein schönes Fest. Von dem sich Toto, scheinbar von allen unbemerkt, nach vier Stunden ohnmächtiger Langeweile verabschiedete. Es waren nur wenige Schritte bis zur U-Bahn, es war dunkel und die Hässlichkeit punktuell von Laternen beschienen, Totos Kollegen machten nur Spaß. Soweit es Spaß sein kann, von drei betrunkenen Männern gestoßen zu werden. Als es am Boden lag, das Große Ding, schien es einen Jagdreflex auszulösen, etwas Urzeitliches, etwas von Beute, die zur Strecke gebracht werden muss.
Toto war nicht mehr anwesend. Der Moment, den geborene Opfer als Auslöser ihrer Schizophrenie bezeichnen. Herr Doktor, dann beugte sich mein Vater über mich, und ich floh zu einem alten Holzhaus, in dem eine Frau saß, die ich wurde, und die Frau beobachtete von ferne, was dem Kind angetan wurde. Fünfzehn Personen bin ich jetzt, und alle reden unentwegt zu mir.
Die Enttäuschung über das unbekleidete Aussehen Totos schlug in eine absurde Wut um. Sie waren beschämt, die Männer, sie waren doch nicht schwul, und dann wurde getreten, mit einer Stange geschlagen, auf den Kopf gesprungen. Sie fühlten sich besser, danach.
Ist sie also tot.
Abtransportiert war sie worden, nachdem sie eine Woche in der Wohnung gelegen hatte, die Ärzte hatten die sechs Mietparteien im Haus befragt, es war aber keinem aufgefallen, sie war ja immer recht ruhig gewesen, man hatte ein gutes Verhältnis gehabt. Die alte Frau war die erste. Das Haus war in den siebziger Jahren ein Neubau gewesen, in dem nur junge Familien gewohnt hatten. Es hatte keinen Wegzug in der Hausgemeinschaft gegeben, man hatte es gut zusammen. Hinter dem Haus war ein Garten mit Sandkiste für die Kinder und Grillplatz für die Väter. Die Frauen studierten, aber es war klar, sie würden nicht mehr arbeiten, wenn sie einmal Kinder hatten. Ich würde kein Kind bekommen, um es dann Fremden zu überlassen. Die Männer waren zwei Ingenieure, ein Beamter, ein Lehrer, ein Anwalt und er, Herbert, der Journalist gewesen war. Bis zur Pensionierung. Eine gute Hausgemeinschaft. Keiner hielt sich für spießig, sie wollten alles anders machen als ihre Eltern. Wollten offen und progressiv sein. Sie hatten die Kleinstädte und die Reihenhäuser ihrer Jugend hinter sich gelassen und ihre Frauen auf Demonstrationen oder Konzerten kennengelernt. Da waren alle schlank gewesen. Jede Familie hatte ein oder zwei Kinder gehabt, die waren blond, und irgendwann hatten sich alle, wie einer Übereinkunft folgend, die Haare abgeschnitten. Frauen und Männer, und gefärbt wurde nicht. Sie hatten in ihren Wohnungen gesessen, an Abendbrottischen, die Kinder hatten aus der Schule erzählt, die Frauen hatten Kilos zugelegt, schminkten sich nicht mehr, und die Männer bekamen einen Bauch. Wenn man sich jeden Tag sieht, dann fallen die Veränderungen im Äußeren und Inneren kaum auf. Die meisten Frauen hatten, nachdem die Kinder ausgezogen waren, Psychopharmaka genommen, Yoga gemacht und sich für den Tierschutz und die Umwelt engagiert. Sie hatten einen seltsamen Zug um den Mund. Die Männer hatten kaum mehr mit den Frauen gesprochen, aber man hatte sich gut verstanden, und in Urlaub fuhr man mit Bewusstsein. Machte Rad- oder Schiffstouren durch Frankreich und brachte den anderen Wein mit.
Und dann war einer nach dem anderen pensioniert worden, eine Ehe wurde geschieden, das war die Frau über Herberts Wohnung. Sie blieb allein zurück, und jetzt war sie gestorben, und sie war die erste, und alle wussten, einer von ihnen kam als nächster an der Reihe. Draußen hatte sich die Welt verändert. Vertraute Gebäude wurden abgerissen, neu gebaut, das Viertel war voller junger Familien mit Kindern, die Innenstadt bevölkert von seltsamen Zombiemenschen im Anzug, wann war das eigentlich gesellschaftsfähig geworden, dieses Anzuggetrage und Bei-einer-Bank-Arbeiten, das verschwieg man doch früher wie eine ansteckende Krankheit, die Bars waren zu laut, und vor Computern hatten alle ein wenig Angst; dass die
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