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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Jugend sich nur noch im Netz traf, war besorgniserregend, und die Atomkraft war besorgniserregend und ein verdammter Grund, sich Sorgen zu machen und wütend zu werden. Alle im Haus hatten eine Wut, weil sich draußen die Welt ohne sie veränderte, keiner fragte, keiner benötigte sie, sie gehörten nun zu den Alten und wollten sich nicht so fühlen, sie sahen aus wie ihre Eltern auf den Fotos und wollten so nicht aussehen. Und zwei Frauen hatten Krebs, und dann zog eine junge Frau ins Haus. Sie sah nach Drogenproblemen aus oder nach irgendwelchen anderen Problemen, immer in Schwarz gekleidet, und permanent badete sie und sang zu hoch dabei, und Herbert hatte noch nie mit ihr geredet, aber er hörte jeden Schritt von ihr, und er hasste jeden Schritt von ihr, sie war das Leben, er war der Tod. Er begann ihre Post aus dem Briefkasten zu nehmen und wegzuwerfen, einfach so, aber es machte ihm eine gute Laune und brachte ihn auch wieder mit seiner Frau zusammen, es war eine von denen mit Krebs, sie lasen die Post und die Rechnungen der Frau über ihnen, die so merkwürdig aussah, und sie kicherten wie früher, als sie herausfanden, dass die junge Frau ein Mann war. Wann immer die Frau nach zehn noch badete, rief Herbert die Polizei an. Er dachte sich nichts dabei, er war voller Wut. Es war sein gutes Recht, wenigstens gut zu schlafen, wenn alles andere schon so schiefgelaufen war. Herbert konnte nicht sagen, was er sich vom Leben erhofft hatte, aber jetzt fühlte es sich eben falsch an, im Alter, das er nicht wahrhaben wollte, in dieser Wohnung, die ihre beste Zeit hinter sich hatte. Heute hatten die jungen Paare Fußbodenheizung und große Räume mit viel Glas, und sie flogen auf die Malediven. Herbert war doch früher von Ausländern so fasziniert gewesen. Von Harems und 1001 Nacht und Wasserpfeifen. Und nun randalierten Jugendbanden aus den Vororten durch sein Viertel und schlugen Fensterscheiben ein, setzten Autos in Brand und krakeelten nach sozialer Gerechtigkeit. Die hatte es doch nie gegeben. Herbert regte sich auf. Die Medien. Machten ihm so eine große Wut. Wie dumm die Journalisten. Wie fehlerhaft ihre Texte. Jeden Tag schrieb Herbert in Foren. Auch das Wetter hatte sich verschlechtert, aber er wusste nicht, wo er sich darüber beschweren sollte. Die Kinder waren ihm verhasst, er war zu weit von ihnen entfernt, die Jungs mit ihren Unterhosen, die sie mit hängenden Jeans freilegten, da wurde doch alles verraten, wofür er gestanden hatte, früher. Und laut war es geworden, und dreckig war es geworden. Aber eigentlich war er nur müde und hatte Angst vor dem Ende. Und ahnte, dass alles ohne ihn genauso weitergehen wird. Die Jahreszeiten und die Neubauten und alles, und er war dann nicht mehr da, und was vor ihm lag, war eine Zeit, in der auch seine Frau gestorben war und er einer dieser alten Männer, die stanken. Das ist doch nicht zum Aushalten. Und da wird nichts mehr kommen. Nichts.
    Dass die Frau von oben blutend nach Hause kam, das hatte er gesehen, durch den Spion, verdammt viel Blut, sie konnte kaum laufen, es sah auch aus, als sei der Schädel offen. Er hatte gehört, wie sie auf allen vieren die Treppen hochgeschlichen war und auf den Boden gefallen.

Und weiter.
    Eine halbe Stunde hatte Toto gebraucht, um auf der Treppe in ihre Wohnung zu kriechen. Aus ihrem Kopf ragte unter einer Blutkruste ein Stück Knochen heraus und beleuchtete den Weg, denn das Treppenhaus war dunkel, an den Schalter nicht ranzukommen, hinter den Wohnungstüren erzeugten die Augen der Nachbarn an den Spionen schmatzende Geräusche.
    Totos Körper schien sich aufzulösen, wer sollte das nur wieder einsammeln, aus der Nase Schleim, die Atmung mit Gurgeln, als ob etwas im Abflussrohr nicht in Ordnung war, und als sie dann endlich lag, hinter ihrer Tür, drehte sich der Raum, und etwas wollte sich auftun, um das Bett zu verschlingen. Toto musste verstehen, was die Männer so wütend hatte werden lassen, musste nach Erklärungen suchen, bei allem, was sie vorfand, sonst konnte man doch nicht weiterleben, wenn sie nicht eine milde Idee für den Irrsinn fand; nur noch im Bewusstsein der Existenz reiner Bosheit kann man doch nicht weitermachen, wenn da überall Feinde sind, die nur darauf warten, anderen zu schaden, sie zu schlagen, zu vergewaltigen, auszurauben, zu töten, zu betrügen, zu verletzen, das kann so nicht sein, das Universum, das ja vielleicht nur in Totos Einbildung bestand.
    Nun also war Toto beim Arzt. Das Trommelfell

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