Vielen Dank für das Leben
war gerissen, ein Auge würde vermutlich nicht mehr oder nicht mehr gut sehen, der Doktor wollte sich nicht festlegen, eine Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Schlüsselbein waren noch zu verzeichnen, der Doktor zog einen Augenblick zu lange die Augenbrauen hoch, als er Totos Oberkörper untersuchte. Mit einem Klang der Stimme, der an Verachtung erinnerte, fragte er, ob Toto Anzeige erstatten wolle. Und war seltsam erleichtert, als sie sich verabschiedete. Toto glaubte nicht an Schuld, Sühne und Bestrafung, vielmehr hatte sie ein Mitleid mit den Männern, deren weiterer Weg nur zu klar schien. Ihre Wut würde wachsen, nur gedämpft durch das rasch voranschreitende Alter. Die schlechte Ernährung, die Dämpfe und so weiter. Ihre Frau würde ihnen selten ein Freund sein, da war die Erziehung vor, die Tradition, wie auch immer sie die Steinzeit nennen wollten. Sie würden verbittert enden, mit Geschwüren in neonbeleuchteten Küchen.
Toto schaute mit einem Auge an die Decke, der Fernseher lief. Sie hatte nie verstanden, was es gegen einen Fernseher einzuwenden gab, die Verdummung, die Volksverblödung, all das tritt doch nicht ein, wenn man das Gerät im Hintergrund laufen lässt, so dass es scheint, als befänden sich angenehme Angestellte im Raum, die sich leise unterhalten, die Verblödung wird doch nicht durch Fernseher erzeugt, die schläft doch in den Gehirnen der Menschen, um bei geeigneter Gelegenheit auszubrechen, wie Pilze aus den Köpfen toter Ameisen.
Verließ Toto das Bett, begann sich der Boden zu verschieben. Der Weg in die Küche, das Verzehren alter Haferflocken, die hat doch jeder, diese alten Haferflocken, irgendwann mit Magenviren erworben, stehen jahrelang in traurigen Küchenschränken, bilden mit Käfern eine klumpige Trockensubstanz, Instantbrühe gab es auch noch, sie würden für zwei Wochen Totos Ernährung bilden. Es wäre schön gewesen, jemanden anrufen zu können, doch Toto besaß kein Telefon, in Ermangelung von anrufbaren Personen. Die Eingliederung in die Gesellschaft schien missglückt, doch jeden Tag gab es ein minimales Zeichen der Genesung zu feiern. Ein großes Fest, als Toto wieder in ihre Wanne konnte und dort zu singen begonnen hatte. Sie prüfte, ob die Töne auch der Resonanz des Badezimmers standhielten. Vorsichtig, als könnten sie wieder verschwinden oder brüchig klingen. Doch die Stimme schien voller, die hohen Töne klarer, die Tiefen ein wenig weicher. Toto sang und war froh, dass sie allein war und keiner sie beobachten konnte. Es war ihr unangenehm, von sich ein Aufhebens zu machen.
Und weiter.
Die Gruppe von Gewaltopfern, sechs geschundene geschlagene Menschen, zwei Alkoholiker, eine Prostituierte, zwei dicke Hausfrauen, schaute Toto mit beeindruckender Ablehnung an.
Sie hatten einige Wochen miteinander verbracht, über Angst geredet und über das Gefühl, angreifbar und unterlegen zu sein, sie hatten zusammen gelacht, und nun war die Abschlussveranstaltung gekommen, ein paar arme Seelen wurden wieder sich selbst überlassen und sagten sich noch einmal, was der Kurs, der ihnen meist vom Hausarzt angeraten worden war, gebracht hatte. Ich habe mich ja die ganze Zeit gefragt, ob Toto sich nicht ein wenig unauffälliger verhalten könnte, anders anziehen und so, sie provoziert es ja, dass man sie anstarrt und auch irgendwie schlagen will. Hatte eine der dicken geschlagenen Frauen gesagt, und Toto war es kalt geworden. Sie hatte geglaubt, in dieser Gruppe der Geschlagenen Freunde gefunden zu haben.
Die Wohnung war Toto gekündigt worden. Die fünf nachbarschaftlichen Mietparteien hatten eine Beschwerde bei der Liegenschaftsverwaltung eingereicht und vornehmlich Totos mangelnde Integration in die Hausgemeinschaft beklagt. Dem Begehren der Mieterschaft war stattgegeben worden. Toto, unzureichend genesen, hatte sich etwas Neues suchen müssen und hatte es doch eigentlich nicht gewollt, das Neue, weil sie nicht wusste, ob es nicht an der Zeit wäre, das Land zu verlassen oder die Welt. Doch all die Überlegungen halfen nicht, es brauchte Geld, um an jenen Orten zu leben, die Toto sich vorstellte, oder Mut, und den hatte Toto gerade nicht, sie war zu schwach und erstmals auch ein wenig müde am Leben. Die Stadt war teuer geworden, die Viertel, die erträglich waren, in denen nicht Rotten gelangweilter junger Männer auf alles eindroschen, was ihnen zu wenig Respekt entgegenbrachte. Sehr oft brachten Rentner und Hunde den jungen Männern keinen Respekt entgegen.
Weitere Kostenlose Bücher