Vielen Dank für das Leben
dabei seltsam lächelte.
Kasimir und Toto redeten nicht mehr oft.
Vor Anspannung war Toto fast krumm geworden. Oder wegen der Schmerzen, die immer wiederkamen, plötzlich. Mit unklarem Ursprung, es schien, als ob alle Organe aus ihr gerissen würden, die Knochen zersägt, keine Luft holen, bloß nicht, die Augen zu, die Ohren zuhalten, wie immer, wenn sie früher einmal Angst hatte, aber wann war das nur gewesen. Irgendwann, als sie sehr klein gewesen war.
Nach dem Abklingen von Übelkeit und Schmerz wurde Totos Blick wieder klar und mutlos.
Mit Kleinigkeiten hatte das Ende begonnen sich abzuzeichnen, aber Toto wollte es nicht als Ende sehen, sondern als eine vorübergehende Weigerung Kasimirs, sich an sie zu gewöhnen. Toto glaubte, man könne sich nur entspannen, wenn man sich gewöhnt hat. An Menschen, an Tiere, an sein Leben, sie gewöhnten sich ja sogar daran, in Hurrikangebieten zu wohnen und alle Jahre ihre Häuser neu aufzubauen.
Seit geraumer Zeit bestanden die Gespräche der beiden nur aus Beschimpfungen von Kasimir, nach denen er schwieg, irgendetwas, aber nicht Toto, anstarrte, um später die Wohnung zu verlassen. Toto zurückzulassen, die dann auf dem Bett saß und sich fragte, ob sie bereits wie ein Hund wirkte, in ihrer Anbetung und Duldung. Dass die Leute immer etwas errichten müssen, um es lieben zu können. Groß muss es sein und fern jeder Erbärmlichkeit.
Kleinigkeiten. Kasimir zog die Augenbraue nach oben, hörte nicht zu, antwortete nicht, entzog die Hand oder ein anderes Körperteil, wenn Toto ihn berührte, stand auf in der Nacht, trank in der Küche, verließ das Haus. Und Toto tat, als schliefe sie, weil sie nicht wusste, wie sie ihn halten sollte. Toto schlief nicht, sie schlief nie, wenn Kasimir weg war, sie lief in der Wohnung auf und ab, da waren bei hundert Quadratmetern ja immerhin ein paar Räume zu durchmessen, von draußen nichts. Kein Geräusch. Toto musste sich übergeben, ihr Gesundheitszustand war in den vergangenen Wochen gut gewesen, die Schwäche kaum spürbar, doch nun kehrte alles umso stärker zurück, gleich nach dem Aufstehen am Morgen war ihr Körper von kaltem Schweiß bedeckt, und die Übelkeit, die verschwand nicht mehr.
Ich kann dich nicht mehr ernst nehmen, hatte Kasimir irgendwann gesagt, und Toto hatte den Satz nicht verstanden. War das der Code der Erwachsenen? Die sich verkleiden, sich korrekte Menschen vorspielen, und lieben sie aneinander die Fähigkeit dieser Darstellung?
Verfliegt ihr kleines Mitgefühl, sobald der andere aus seiner Rolle fällt, weint, schmutzig ist oder hilflos?
Toto war ratlos, denn wenn es das war, was die Welt unter Liebe verstand, dann interessierte es sie nicht weiter, das war doch so traurig, in gebügelter Kleidung am Tisch sitzen und über das im Netz Gelesene reden, sich Radieschen reichen und danach Gummikleider anlegen, um zu einer sexuellen Stimulation zu gelangen. Vermutlich muss sich auch beim Geschlechtsverkehr verkleiden, wer schon vom Morgen ab in seltsamen Uniformen unterwegs ist.
Diese Vortäuschung von Lebensentwürfen, das war entmutigend. Die Leere, die durch Kasimirs Abwesenheit entstand, war beängstigend.
Im Morgengrauen, nach der Ewigkeit einsamen Wartens, hörte Toto Kasimir oft unten vor dem Eingang lachen, mit jungen Männern; die Schatten zeigten, dass nach dem Lachen Küsse stattfanden auf der Straße, oder ähnliches.
Nach dem Lachen, dem was auch immer, betrat Kasimir laut die Wohnung, und Toto lag starr neben ihm, der Weg war zu weit, um ihn zu berühren.
Vermutlich wäre das der Moment gewesen, zu gehen. Die Zahnbürste nehmen, die Wohnungstür hinter sich schließen, die Treppe hinuntersteigen, sich übergeben, und.
Nach dem Und wusste Toto nicht weiter. Sie verhielt sich still. Die Sätze, die sie in ihrem Leben gesprochen hatte, passten vermutlich in ein sehr dünnes Heft. Reden hatte sie nie besonders interessiert. Sie verstand nicht, dass es den meisten so wichtig ist, sich zu hören.
Keine Uhr im Raum, kein Mensch auf der Straße, die ersten Touristen würden erst ab zehn mit Plastikbaguettes unter dem Arm durch das Viertel stromern. Kasimir wachte auf, zog Toto zu sich, murmelte im Halbschlaf. Ich bin so froh, dass du da bist. Geh nicht weg.
Toto vergaß. Ihre Angst. Das Gefühl der Kälte im Raum. Sie hoffte, dass doch alles gut werden würde. Eine Frage der Gewohnheit.
Es hatte sich verselbständigt.
Die ganze Geschichte war aus dem Ruder gelaufen, hatte sich seiner Kontrolle
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