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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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anlegen.

Kasimir liebte
    seine kleine französische Absteige, wie er sie schmunzelnd nannte, wobei ihn bereits das Wort schmunzeln schmunzeln ließ. Hundert Quadratmeter sind für Paris eine enorme Immobiliengröße. Noch vor einigen Jahren, als die letzten renitenten Franzosen die Innenstadtwohnungen besetzten, lebten Familien mit Kleinkindern auf dreißig Quadratmetern. Kasimirs kleine Absteige, er schmunzelte, lag an der Rue des Rosiers, die Rosenstraße, die ehemalige Judenstraße. Heute wohnten hier keine Juden mehr, es wusste auch kaum mehr einer, was ein Jude war. Studenten hatten sich schwarz verkleidet, als Fotomotiv für die Touristen standen sie gestikulierend auf der Straße. Oiveyh rufende Frauen mit unansehnlichen Perücken wankten ab und an aus den koscheren Restaurants, die natürlich nicht koscher waren, wie auch, wozu auch, da weiß ja keiner mehr, was das mal gewesen war.
    Manchmal, wenn Kasimir aus dem Fenster sah und die Abwesenheit von Kindern bemerkte, Paris war keine Stadt, in die man Kinder mitbrachte, die Welt war kein Ort mehr, an den man Kinder mitbrachte, was sollten sie hier tun, erinnerte sich Kasimir. An das Gefühl, von den Eltern in ein Heim gegeben worden zu sein, da war er sechs gewesen, und es war das Ende der Welt. Etwas Schrecklicheres kann sich doch kein Kind denken, als abgetrennt zu werden von der Körperhälfte Eltern und den Gewohnheiten, über Nacht im Wald ausgesetzt. Nicht dass sie es ihm nicht angedroht hätten. Wir bringen dich ins Heim, hatte seine Mutter in dem kleinen sozialistischen Land, aus dem er stammte, oft gesagt. Und geschwankt dabei. Verflixter Cabernet. Kasimir hatte sich nicht zu benehmen gewusst. Unterdessen vermutete er, dass er schon böse geboren war. Er erinnerte sich an die Löcher, die er in die Wand neben seinem Bett gebohrt hatte, um sein Glied hineinzustecken. Kasimir schmunzelte.
    Sein Blick lag auf Toto, fast zwei Meter zusammengerolltes Menschenmaterial, ein schöner Mann, das war er für Kasimir immer gewesen.
    Das Ding, wie sie es im Kinderheim genannt hatten, das immer tat, als könne die Welt es nicht beschädigen. Lag nun da und schlief und war alt geworden, da war keine klare Kinnlinie mehr auszumachen, und es vertraute ihm völlig. Seine erste und vermutlich letzte Liebe. Wie rührend. Die Spucke rann ihm aus dem Mund.
    Er hatte immer so sein wollen wie Toto, so gut, so selbstlos, so frei von Wünschen, ein Punchingball für alles, was schlecht war in seiner Zeit, und Kasimir hatte sich geekelt, des unverständlichen Ansinnens wegen, das tief aus ihm kam. Von Beginn an hatte er Toto gehasst, der so unberührbar war. In allem überlegen. Sauber, nichts Böses vorhanden, nicht angelangt von allem Dreck um ihn herum. Und dann noch diese wunderbare Stimme aus dem schönen Kindergesicht. Es gab nichts und keinen, den Kasimir stärker hasste als dieses immer fröhliche Idiotenkind. Er musste Toto beherrschen, um ihn loszuwerden, um sich aufzuwerten, um frei zu sein. Und wenn schon alle Intrigen nicht geholfen hatten, diesen Riesenmongo auszuschalten, dann würde es vielleicht die Liebe erledigen.
    Toto öffnete die Augen. Und war trunken vor Glück. Paris, Paris, mochte sie denken, und all das mit meinem geliebten Menschen.

Und weiter.
    Mit der Welt war Toto nunmehr durch den Fernseher verbunden, der in einer Abstellkammer der Wohnung stand. Sie beobachtete die Versuche der kollabierenden europäischen und amerikanischen Länder, die Banken, Transportmittel, das Gesundheitswesen und die Nahrungsmittelindustrie wieder zu verstaatlichen. Die Preise für die Grundbedürfnisse waren durch die Privatisierung des Lebensnotwendigen so gestiegen, dass man freundlich von einer Verslumung der alten Welt reden konnte.
    Menschen gewöhnen sich an alles.
    Die wenigen Milliardäre, denen die Welt gehörte, lebten fast ausschließlich auf schwimmenden Inseln, umgeben von Wissenschaftlern und Ärzten, die den Alterungsprozess der Beherrscher der Welt, zu denen Kasimir eindeutig nicht gehörte, erstaunlich verlangsamten, und sie schwammen in jenen Gewässern, die nicht von Seebeben oder dem Abbau seltener Erden betroffen waren. Das Land wurde ihnen zu ungemütlich, es gab auch kaum mehr attraktive unverbaute Plätze, und vom Wasser aus bot sich im guten Abstand ein Ausblick auf funkelnde Küstenregionen.
    Kasimir duldete keine Geräte außer einem alten Grammophon im sichtbaren Umkreis seines Salons und seines Schlafgemachs, wie er es gerne nannte und

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