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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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hatte alles absorbiert, was früher anders gewesen war.
    Nie konnte sie ihre Gedanken in Reihe halten, 666.
    Das Ortsschild von Paris.
    Es wäre Toto angenehm gewesen, wäre das Auto an einen Brückenpfeiler geprallt und hätte sie das letzte Bild einer unangetasteten Heiligkeit mit sich nehmen können, wohin, auch egal.
    Sie ahnte, dass es sich ändern würde. Alles ändert sich. Das Auto würde geparkt werden, und dann galt es ein Leben weiterzuführen mit alltäglichen Verrichtungen.
    Die ersten Minuten schienen ihrer Angst Recht zu geben. Totos Unvermögen, die hässliche Ringstraße mit den billigen Häusern, aus denen gelbe Wäsche hing, mit den glänzenden Ideen, die sie von der Stadt gehabt hatte, zusammenzubringen, ließ sie schwer atmen. Fast kam die gewohnte Übelkeit zurück, die sich während der Nacht nicht bemerkbar gemacht hatte.
    Das goldfarbene Licht, die Alleen erreichten sie später, nachdem sie durch fast unendliche Viertel absurder Erbärmlichkeit gefahren waren, doch irgendetwas stimmte auch dann nicht. Damals wusste Toto noch nicht, dass es die Abwesenheit von Menschen war, was die Stadt so seltsam entrückt wirken ließ.
    Totos weißer Körper schwamm wie ein Milchberg in der Badewanne. Die erste Zeit.
    Da hatten sie gelegen, auf dem von einer seltsamen Sonne beleuchteten Daybed, das Kasimir selber entworfen hatte, vor dem Fenster goldene Fassaden, im Fernsehen liefen Bilder des Wiederaufbaus ihrer früheren Stadt. Mit wütenden Gesichtern zeigten unförmige Menschen auf Bretterhaufen. Sie waren schon wieder betrogen worden, und keiner machte sich die Mühe, einen Gedanken zu Ende zu bringen.
    Diese roséfarbenen Tage, in den ersten Monaten, da die einzige Unterbrechung ihrer Zweisamkeit aus dem Personal der entrüsteten Nachbarn aus arabischen Öldynastien bestand, die sich im Auftrag der Herrschaft beschwerten. Über den Lärm, das Wasser, das Fenster, die Tür, hauptsächlich und unausgesprochen jedoch, weil da ein Paar unklarer sexueller Zugehörigkeit miteinander verkehrte. Kasimir wies das Personal freundlich ab. Und beide machten weiterhin Lärm, mit Musikanlagen, Fernsehern, Rufen und überbordendem Springen in der Wohnung. Wenn schon draußen alles tot ist, muss es doch wenigstens drinnen ein wenig belebt sein, nicht wahr, sagte Kasimir oft, und Toto meinte immer wieder, ihn schon früher gesehen zu haben, tat das aber als Sentimentalität ab. Tat das ab als: Ich kenne dich schon mein Leben lang. Manchmal, wenn die beiden auf dem Bett lagen, das in einem salonartig großen Zimmer stand, löste sich Toto aus ihrem Körper und sah sich das Geschehen von oben an, von da, wo die Ahnen hocken, die nach der Theorie von Wiedergeburtlern permanent anwesend sind. Der Raum voller Leichen, die sich in Büttentücher schneuzen, über der Betrachtung zweier älterer Menschen, die halbnackt durch eine Millionärswohnung jagten. Ein Mann, die fünfzig bereits hinter sich, mit zu langem Haar, um ein korrekter Erwachsener zu sein, der am Morgen im Internet unverständlichen und vermutlich dubiosen Geldgeschäften nachging, und eine Frau, die einmal ein Mann gewesen war, in einer Zeit, da Geschlechtszuweisung auch außerhalb religiös fanatischer Randgruppen noch interessant gewesen ist, und sich vor allem unsicher fühlte.
    Mittags aßen sie außer Haus. In irgendeinem Bistro zwischen Touristen, in irgendeiner Ecke der ausgestopft wirkenden Stadt, die die beiden durchliefen, und immer war da zu viel Helligkeit. Die Abwesenheit normaler oder junger Menschen hatte einen unklaren Einfluss auf das Nervensystem, machte einen sich noch älter fühlen, obgleich das doch nichts ist, um die fünfzig, das ist das neue zwanzig, überall sah man Werbung mit federnden Alten, nackte alte Liebespaare in Filmen, wenn es schon in den Straßen keine Paare mehr zu besichtigen gab, umschlungen unter Platanen. Die Liebe, die sicher noch existierte, war in den geschlossenen Raum verlegt worden, denn sie hätte die Touristen befremden können. Die Regierung, die aus Frauen bestand, hatte gehorsam entsprechende Verordnungen veranlasst. Meist hatte Kasimir im Anschluss an das Mittagessen Termine, Toto fragte nicht weiter nach. Er ging in die Wohnung und legte sich in die Badewanne, bis der Abend kam, dann wurde gekocht. Der Alltag hatte sich eingestellt und war doch für Toto ständige Ausnahme. Ihre Verspannung war unterdessen so groß, dass sie sich bei allem, was sie tat, selbst beobachtete. Sie wurde völlig steif davon.

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