Vielen Dank für das Leben
Unsitte kapitalistischer Eltern, ihre Kinder zu verziehen. Sie setzen den Kindern Helme auf, wenn diese das Laufen erlernen. Ich meine, wenn ein Kind einen Helm bräuchte, um zu laufen, dann wäre es ja wohl mit einem Helm geboren worden. Wir verhätscheln unsere Kinder nicht, das Leben wird später auch nicht sanft mit ihnen umgehen, nur weil ihre Eltern versagt haben. Wir erziehen unsere Kinder zu widerstandsfähigen Menschen, die ihren Körper beherrschen und nicht auf Witterungen reagieren, erklärte sie immer wieder dem Erziehungspersonal, wenn einer wissen wollte, ob Kinder mit roten Knöchlein im Sinne des Sozialismus seien.
Die Kinder froren. Es war Sommer, der Himmel grau, leichter Niederschlag, und es herrschten um die zehn Grad. Die Kinder bewegten sich langsam, wie in Öl. Toto, wie immer, als letzter der Gruppe, allein, am Ende, und Kasimir direkt vor ihm.
Toto lief gerne, es stellte sich bei ihm nach wenigen Schritten ein leiser Ton im Kopf ein, und er spürte seinen Körper nicht mehr, fast als sei er nicht mehr anwesend. Heute war der Ton nicht gut zu hören, denn Toto konzentrierte sich auf Kasimir, den er hätte berühren können, die Schulterblätter, die sich unter dem engen Baumwollhemd abzeichneten, die spitzen Wirbel. Toto verspürte den Wunsch, Kasimir unter eine warme Decke zu stecken.
Toto zupfte ein Blatt vom Baum, um es in seiner Hand zu falten und dran zu riechen. Irgendein Wohlgefühl bereitete dieser Geruch, und als er gerade nachdenken wollte, ob stinkende Pflanzen überhaupt existieren oder ob der schlechte Geruch Menschen vorbehalten ist, erschreckte ihn Frau Hagens schrille Stimme.
Toto, hast du gerade ein Blatt abgerissen? Toto nickte. Frau Hagen hielt den Schritt an, metergroß stand sie über Toto und schrie: Du hast die Natur bestohlen. Schaut alle her, Kinder, hier steht ein Dieb vor uns, der brutal ein Teil von einem Baum abgerissen hat, einer, der die Natur vernichtet. Wie würde es dir gefallen, wenn ich dir einen Finger abreißen würde? Frau Hagen riss an Totos Hand herum, bis dem die Tränen kamen. Die Kinder der Gruppe hatten einen Kreis um ihn gebildet. Und duschen muss er auch immer alleine, sagte ein dicker Junge, vor dem alle ein wenig Angst hatten. Er zeigte die Anzeichen eines Raufboldes, zwar war er erst sechs, doch wenig später würde er sich zu einer Plage entwickeln. Toto stand mit gesenktem Kopf und war von einem so großen Unglück erfüllt, dass er kaum mehr atmen konnte. Zum ersten Mal, seit er denken konnte, wurde er sich seiner Lage bewusst: Er war allein. Er wusste nicht, wie es ist, einen Menschen zu haben, er kannte nur einsame Kinder, aber die meisten hatten doch wenigstens einen Freund gefunden, mit dem sie nachts die Angst halbieren konnten. Alleinsein bedeutet, dass man der Welt ohne jeden Schutz gegenübersteht.
Es waren die siebziger Jahre, und im kapitalistischen Teil der Welt versuchten Eltern ihren Kindern Markenartikel auszureden. Sie wollten, dass ihre Kinder Kind sein konnten, in jener erlogenen Reinheit, die Erwachsene sich in einem Kind vorstellten. Viele hätten eine Wiedereinführung der Schuluniform bejubelt, es war die Zeit, da die ersten Psychoanalysepatienten die Praxen verließen und ohne Scheu sagten: Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, meine Individualität zu betonen.
Dabei hätten die besorgten Eltern im Kapitalismus nur eine kleine Reise in den Ostteil des Landes unternehmen müssen, um festzustellen, dass Ausgrenzung nichts mit teurer Kleidung zu tun hat. Die Kinder im Heim kleideten sich in blauen Hosen aus einem dubiosen Mischgewebe, das in drei Sekunden restlos verbrennen würde, falls es einer drauf anlegte.
Im Sommer trugen die Mädchen einen Rock, die Jungen kurze Hosen, dazu Hemden aus Plastik und Jacken, deren Ärmel aus dem Prinzip der Demütigung zu kurz waren, die Schuhe aus Kunstleder, alle zwei Monate kam der Friseur und kürzte die Haare der Jungen auf 3 mm, mit einer Maschine, die blutige Spuren auf der Haut hinterließ und entzündete Pickel. Erstaunlicherweise, wie um gegen die Uniformierung ihres Äußeren anzugehen, wandten sich die Kinder gegen die Dicken und die Dünnen, die Rothaarigen, die zu Klugen und die zu Dummen. Was in keine Richtung auffallend war, würde am elegantesten durch sein Leben kommen. Die Menschheit funktionierte passabel ohne jede Bemühung um eine Außerordentlichkeit, die im evolutionären Programm nicht vorgesehen ist.
Das Rudel hatte Toto vom ersten Tag an für
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