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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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ein Restaurant aufzusuchen wäre den wenigsten eingefallen, die drei, die es gab in der Stadt, arbeiteten mit Vorbestellung und Kundenplazierung, da ging man nur zur Jugendweihe hin, um erlesen zubereiteten Kohl zu sich zu nehmen. Im Kino liefen russische Filme.
    Wer jung war, traf sich irgendwo auf der Straße, begab sich in Wohnungen von irgendwem, um ein wenig zu trinken, oder in den Studentenclub, um sich da zu betrinken. Die Jungen kannten kein anderes System, sie fragten sich nicht, warum die Läden so leer waren, die Zeitungen keine Informationen enthielten, sie waren voll Kraft und träumten von irgendwas, das sie nicht kannten, es sollte nur anders sein. Nicht so unendlich ockerfarben.
    Der einzig erkennbare Vorteil des Systems war, dass es niemals den Neid der Menschen herausforderte, denn da gab es nicht viel, worum man den Nachbarn beneiden konnte. Die anders waren, hatten das Land verlassen, die Hinterbliebenen waren sich zu ähnlich oder zu müde, um einander zu hassen.
    Die Erzieherin hielt die Gruppe zum Weitergehen an, die Pfütze um Totos Füße war allen so peinlich, dass sie sich nur stumm in die Rippen stießen, Ekel im Gesicht. Erleichtert waren sie nun zu wissen, warum ihnen nie wohl gewesen war, wenn Toto sich im gleichen Raum befand, warum es ihnen behagte, dass er allein weitab in seinem Bett lag und allein in die Dusche ging. Er war ein Dieb, ein Feind des Sozialismus, und da war Urin an seinen Beinen.
    Entschlossen und wie einer wortlosen Verabredung folgend, wandte sich die Gruppe ab und trabte weiter den Naturlehrpfad entlang, in freudiger Erwartung eines außergewöhnlichen Vertreters des Genista germanica aus der Familie der Schmetterlingsblütler, ja, die kleine Bande konnte sich kaum halten vor Neugier, denn so einen Schmetterlingsblütler sah man auch im Sozialismus nicht alle Tage. Als würde die Gruppe einatmen zu einem großen letzten Schlag, als sammelten sie ihre Kräfte, war das seltsame Schweigen in der Luft, im Wald, und wo war nur der verdammte Genista germanica? Toto lief hinter den Kindern her, die ihm abweisend ihre Rücken zeigten, nur einer, einer drehte sich um zu ihm.
    Kasimir verlangsamte seinen Schritt. Bis sich seine und Totos Arme berührten, unabsichtlich, ständig, stärker und stärker wurde der Druck der beiden Körper, schweigend flossen sie durch die Natur. Toto meinte Kasimirs Knochen zu spüren, wie ein kleiner Vogel fühlte der sich an, Toto hatte einmal einen gefunden, vergessen wann, vergessen wo, und für den kurzen Weg war die Welt vollkommen.
    Toto schaute nach oben in die Bäume, die er bestohlen hatte, und zum ersten Mal konnte er das Gefühl benennen, das er mitunter hatte. Das also ist Glück, es benötigt zur Entstehung eine Ursache, und es ist endlich, schon wieder vergangen, als die Gruppe ins Heim zurückkehrte, das unverändert stand, seltsam, es war nicht in goldenes Licht getaucht und warm, immer noch fiel der Putz von den Wänden, und der Boden war Beton und kalt, und seine Hose war nass. Du wirst sie anbehalten, sagte Frau Hagen, aus Gründen, die unbedingt mit Erziehung und Faschismus zu tun hatten.
    Beim Abendessen an den langen Tischen, als Kasimir sich mit seinem Kohl neben Toto setzte, da kam er zurück, dieser Zustand von Glück. Fast albern traurig, aber der Platz neben Toto auf der langen Sitzbank war bisher immer leer geblieben.
    Ruhe trat für Sekunden ein am Tisch der Kleinen. Der Jüngste in der Gruppe war vier, die Älteste acht. Sie würde bald umziehen an die Tafel in der Mitte des Raums, wo die Acht- bis Vierzehnjährigen saßen. Die Großen, links außen, befanden sich auf einem anderen Planeten. Sie ignorierten die Kinder und waren mit ihrer Zukunft, dem Rauchen und der Suche nach sexuellen Kontakten beschäftigt. Unnahbarkeit strahlten sie aus, an ihrem weit entfernten Tisch, denn bald würden sie frei sein.
    Die meisten Heimkinder zogen mit sechzehn aus. Sie begannen eine Lehre, wohnten in Internaten, und die wenigsten studierten. Zu ungewiss, ob sich die teure Ausbildung rentieren würde, ob so ein junger Mensch, der doch von unzuverlässigen Elementen abstammte, später in der Lage war, Führungsaufgaben zu übernehmen.
    So wurden aus den Kindern des Kinderheims Michael Niederkirchner Maler, Lackierer, Karusselldreher, Kellnerinnen, in Berufe gerieten sie, in denen sie morgens aufstehen mussten, wenn es noch dunkel war, und die Tage mussten sie verbringen mit etwas, das doch mit keinem zu tun hatte. Sie würden

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