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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Übergriffe vorgenommen. Er hat unser Heim entehrt, die Freie Deutsche Jugend, deren Fahnenwart er ist, beschmutzt, er hat sich in widerlichster Art an sich vergangen. Der Junge zitterte, sein Gesicht bekam eine Farbe, die Toto noch nie an einem Menschen gesehen hatte, und er versuchte sich zu verteidigen, ich habe mich doch nur gewaschen, sagte er, stammelte er, die Kinder begannen zu lachen, die Kleinen wussten nicht worüber, vielleicht weil etwas Peinliches im Raum befindlich war, oder ihnen unbehaglich. Ich habe mich nur gewaschen, sagte Christian leise, und Tränen liefen über sein Gesicht. Ich weiß sehr wohl, wie es aussieht, wenn sich ein Junge reinigt. Und ich weiß, wie es aussieht, wenn er an sich herumspielt. Du, Frau Hagen zeigte auf den erbarmungswürdigen Jungen, hattest sexuelle Absichten. Das kann ich nicht dulden. Das kann ich hier nicht dulden. Frau Hagens Stimme überschlug sich, ein erwachsener Mensch hätte sich fragen können, woher ihre übertriebene Verachtung für den pubertierenden Jungen kam, er hätte in Erfahrung bringen können, dass Frau Hagen frei von jedem Gefühl war, sie erledigte nur ihre Aufgabe. Sie hatte ihre Anordnungen. Aber es war kein Erwachsener da, der den Kindern erklären konnte, Frau Hagens Angriffe nicht persönlich zu nehmen, der ihnen sagen konnte, eure Zeit hier ist endlich, auch wenn ihr euch im Moment fühlt wie auf einem kalten Meer, ihr werdet irgendwann an Land gehen und alles hier vergessen. Die Kinder waren still. Die Atmosphäre bedrückend. Christian, du gehst zu Bett und wirst dich bis auf weiteres nur in meiner Anwesenheit reinigen.
    Unklar, was dem Jungen furchtbarer war. Die Bloßstellung vor fast zweihundert Kindern, Mädchen eingeschlossen, gerade Mädchen, gerade Birgit, oder die Aussicht, mit wachsendem Schamhaar vor seiner Erzieherin duschen zu müssen. Er taumelte aus dem Speisesaal. Und man hätte meinen können, nun wäre doch alles gesagt, nun wäre doch klar, wer die Macht hat und wohin es führt, wenn man sie missachtet, doch Frau Hagen war noch in Schwung, ihre Stimme hatte sich beruhigt, und leise, gefährlich leise fuhr sie fort, leider haben wir heute nicht nur einen Sexualstraftäter ausgemacht, wir haben auch noch einen Dieb unter uns. Toto, steh auf, sagte Frau Hagen, ihre Stimme war wieder im metallenen Bereich und zog Toto von seinem Sitz, und sein Blut rauschte aus Kopf und Leib in die Füße. Die fühlten sich sehr warm und dick an, die Füße, auf die er schaute, ohne zu verstehen, was da passierte, mit ihm und seinen Gliedmaßen. Er, Frau Hagen zeigte auf Toto, hat heute gestohlen. Und wir, sie zeigte in die Runde, wissen alle, was das bedeutet. Eine Woche lang keinen Kontakt mit dem Dieb. Habt ihr das verstanden? Wir werden nicht dulden, dass jemand unser sozialistisches Land, das mit dem Blut der Arbeiter und Bauern errichtet wurde, bestiehlt. Toto war in seinen Kopf zurückgekehrt. Die Sache mit dem Blut, die hat sie sich ausgedacht. Ich habe noch nie einen bluten sehen, da draußen, und dann setzte er sich wieder hin. Habe ich dir erlaubt, dich zu setzen, schrie Frau Hagen, sie war außer sich geraten, es passierte ihr manchmal, dass sie durch ihre Stimme aus sich trat.
    Toto erhob sich, er hatte sich inzwischen in einen Stein verwandelt, Frau Hagen hätte ihn auspeitschen können, er hätte es nicht bemerkt, hätte nichts gefühlt, Toto sah seine Füße an. Komische Dinger, so Füße, ob sie wohl Gefühle haben? So, jetzt kannst du dich setzen. Du sollst dich setzen, und lass nicht wieder Urin unter dich, die Gefahr scheint ja immer gegeben, wenn du dich senkrecht hältst. Erst das Gelächter der Kinder weckte Toto aus seiner Fußbetrachtung. Er setzte sich langsam und überlegte sich verwundert, wie es wohl aussehen sollte, wenn die Kinder von nun an keinen Kontakt mit ihm haben würden. Noch weniger Kontakt als bisher, da müssten sie sich in gasförmige Wolken auflösen.
    Nach der Abendansprache wurde vom Tischdienst abgeräumt, der Spüldienst machte das Geschirr, jedes Kind war einmal in der Woche mit einer Aufgabe betraut, dem absurden Gedanken folgend, dass Kinder Verantwortung übernehmen müssten, damit es ihnen später leichter fiele, keine Verantwortung mehr zu haben.
    Auf dem Weg in die Schlafräume hielt Kasimir sich neben Toto. Du darfst nicht mit mir reden, sagte der, und Kasimir erwiderte, wer sagt denn, dass ich reden will. Außerdem habe ich vor nichts Angst. Das war vielleicht ein wenig dick

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