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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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kalte Dusche. Er hörte nicht, wie es ruhig wurde im Raum, er starrte die beschlagenen Kippfenster an, sehr weit oben im Raum, fragte sich, wie einer diese Scheiben erreichen konnte, im Notfall, wenn der Duschraum unter Wasser stünde, nichts hörte er, merkte nicht, wie die Duschen abgestellt wurden und sich ein Kreis um ihn formte. Toto kehrte irgendwann aus seinen Gedanken zurück, geholt von Kasimirs Stimme, der laut schrie: Das ist ja eklig, seht euch an, wie das eklig ist.

Und weiter.
    Bei Sonnenaufgang saß Toto in seinem Bett, und ihm war, als habe er Geburtstag, nur ohne Geburtstag, der wurde doch im Heim nicht zelebriert, da gab es doch nichts zu feiern, bei diesen traurigen, unerwünschten Kindern.
    Die Vögel wurden munter, ein wenig lustlos, es war der Osten da draußen. Toto lief die Linoleumtreppe hinab, öffnete die Tür neben dem angenehm vermodert riechenden Keller und betrat den Garten hinter dem Haus. Vom Leben in Freiheit durch einen Zaun getrennt, waren da ein Sandkasten, eine Schaukel, mehrere Koniferen und ein Rasenstück, dessen morgenfeuchte Erde Toto an irgendetwas Vollkommenes erinnerte, für Sekunden.
    Auf der Straße fuhren die ersten Zweitakter des Tages, die Luft war von Feinstaub erfüllt, das rührende sozialistische Land lag in den letzten Zügen seiner Planwirtschaft. In dieser kurzen Zeit des Tages, zwischen Aufgehen der Sonne und Aufwachen der Kinder, fühlte sich Toto unendlich. Nicht einmal die fade Sonne störte, die verschwommen am Himmel hing, hinter Auspuffgasen und gelben Wolken aus einem nahegelegenen chemischen Betrieb, die die Luft verklebten. Am Morgen gelang es Toto, das Leben zu vergessen, den Alltag, der für ihn schon als Kind sehr unerfreulich war. Wie klingt das, wenn ein Kind sagt: Der Alltag ist doch sehr unangenehm. Aber es fragte ihn zum Glück keiner.
    Toto war so wohl, im Garten, vor dem Erwachen der anderen, weil keiner etwas von ihm verlangte, keiner Erwartungen an ihn hatte und er in sich hocken und starren konnte. Im Garten, am Morgen, fiel Toto nicht auf, keine Gespräche verstummten bei seinem Erscheinen, nur die Vögel wurden ein wenig stiller. So könnte die Welt sein, nach Gras riechen und Erde, und ängstliche Vögel, so könnte das sein, wenn man nicht abhängig wäre. Das braucht doch keiner, das Licht, die Gruppe, die Schule, wer braucht das, noch jahrelang. Toto überlegte sich, wie oft er noch in einem Kinderheimbett schlafen musste und aufstehen und allein duschen, wie oft er alleine am Esstisch sitzen musste. Natürlich könnte er weglaufen, in einem Wald wohnen, sich von Wurzeln ernähren, doch Toto wusste, dass er zu ängstlich war, um solche Abenteuer der Unbequemlichkeit auf sich zu nehmen, darum ging er zurück in den Schlafsaal. Immer dieses Wollen, Essen und Lernen und Erwachsenwerden, um das Heim zu verlassen, und wenn dieselben Menschen endlich erwachsen waren, wollten sie plötzlich nur noch trinken und sterben. Die Straßen waren voller Todessehnsüchtiger, sie taumelten gegen Laternen, die schon lange erloschen waren, fielen und brachen sich die Beine, ihre Köpfe explodierten in Gasherden. Und die Überlebenden all des Elends wuchsen mit Toto im Heim auf, und sie werden dann mit schweren Schäden in die Welt entlassen, die sie an ihre Kinder weitergeben, falls nicht ein Wunder geschieht.
    Ich werde niemals etwas wollen, schwor sich Toto, ich werde ein Teil dieser hässlichen Umgebung sein, die man Natur nennt oder Gebäude, und ich werde, außer am Leben zu bleiben, keinen Ehrgeiz entwickeln. Es führt doch zu nichts, dieses Gewolle, das konnte er doch sehen an den verspannten Gesichtern der Erwachsenen, die offenbar alle nicht bekommen hatten, wonach sie verlangten. Ich werde wachsen und handeln, wie es die Lage verlangt, ich werde mich nicht wichtig nehmen und nett sein zu allen, die ich treffe. Das sollte langen, um die Zeit gut zu überstehen. Toto war schon fast ein Mensch, er brauchte keine Eltern mehr zum Überleben, er hatte Bücher, in die er, wann immer es freie Zeit gab, verschwand. Die Bücher hatten ihm geholfen, die erste große Demütigung zu überleben und durchzuhalten. Toto dachte selten nach, oder er hätte es so wenigstens nicht genannt: nachdenken. Er beobachtete alles, was ihn umgab, mit fast pathologischem Interesse, aber er wertete es nicht. Er hatte sich Grundsätze erarbeitet, denen er folgte, weil es keinen gab, der ihm ein Vorbild war. Toto interessierte sich nicht besonders für sich selbst, und er

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