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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Auszeichnung dafür, und seine Frau hatte es nach englischem Landhausstil eingerichtet. Geheimnisvoll dräuten schwerkarierte Stoffe, Kordeln überall, und hie und da drohten Bilder mit Jagdszenen an der Wand.
    Als Hans und seine Frau noch ein Studentenpaar mit dem absurden Gefühl, die Welt liege ihnen zu Füßen, gewesen waren, fanden sie über ihre Bewunderung für England, sein Königshaus, seine Dichter und den Fünfuhrtee zueinander. Hans hatte einen Lehrstuhl für alte Sprachen inne, seine Frau arbeitete halbtags in der Universitätsbibliothek. Sie hatte keine Ambitionen. Viele Frauen haben keine Ambitionen.
    Das Fundament von Hans’ Leben, das, wie er meinte, sich schön fest geformt hatte mit all seinen Einrichtungen, wurde ein wenig brüchig, nachdem er fünfzig geworden war. Gegen seine feste Erwartung wurde er nicht zum Prorektor der geisteswissenschaftlichen Fakultät ernannt, ein jüngerer Kollege, der in Cambridge studiert hatte, wurde ihm vorgezogen, und obwohl unklar blieb, warum ein Unglück immer andere mit sich bringt, zog der neue Vorgesetzte mit seiner Frau, die wirkte wie eine Pornodarstellerin, in das Haus neben dem Haus von Hans, dieses Haus, das ihm nicht gehörte, sondern nur der Bank, aber mit den Ratenzahlungen war er nie im Rückstand, sagte ich das schon, sagte Hans. Wann immer es ihm seine Arbeit erlaubte, betrieb Hans unter Zuhilfenahme eines Fernglases die Beobachtung des Nachbargrundstücks. Die Frau, blondiert und sehr erhältlich wirkend, lief halbnackt über das Gelände, es war ungefähr in der Zeit, als bei Hans’ Frau Multiple Sklerose festgestellt wurde, die zwar noch nicht ausgebrochen war, doch allein die Aussicht darauf veränderte sie frappierend; sie ging nicht mehr arbeiten und hielt sich seit der Diagnose im Rollstuhl auf. Hans’ Frau redete nur mehr von sich, als hätte sie immer auf eine Entschuldigung gewartet, nicht mehr am Weltgeschehen teilnehmen zu müssen. Es hätte Hans befremden können, wie er, in einer Hand den Feldstecher, die blonde Nachbarin beobachtete und mit der anderen onanierte, während seine Frau unentwegt über sich monologisierte, doch Hans war zu jenem Zeitpunkt bereits depressiv, und ihn befremdete nichts mehr. Die neue Startbahn sollte durch seinen Vorgarten verlaufen, und er konnte sich schwer vorstellen, wie seine Frau im Rollstuhl am Rande der Startbahn sitzen wollte, während er mit dem Fernglas wichsend die Nachbarin beobachtete, das würden die Fluggäste doch sehen.
    Etwas zerriss in ihm, ein kleines Verbindungskabel aus Glas, das den Menschen zusammenhält, ihn sich bewegen und alles ertragen lässt. Hans ging nicht mehr in die Universität. Er saß mit Schildern vor dem Rathaus, er schrieb Briefe, machte Eingaben und konnte nicht mehr onanieren. Zu stark waren die Magenschmerzen geworden, an denen er litt wegen seines sauren Aufstoßens, das zum Tick geworden war. Die Nachbarin zeigte ihn wegen sexueller Belästigung an, Hans hatte doch nur gemacht, worum sie gebettelt hatte. Im rechtmäßigen Abstand zu seinem Haus fuhren Maschinen auf, ein kleines Parkstück wurde gerodet, alte Bäume gefällt. Das war der Zeitpunkt, da er durch Zufall eine Rede von Raimund hörte, und all die Begriffe gefielen ihm. Es war also Kommunismus, was er die ganze Zeit gespürt hatte. Heute lebte er mit seiner Frau, Ilse, die mit Raimund sexuellen Verkehr hatte, wie alle Frauen der Gruppe, in der Kommune. Es ging ihm unwesentlich besser. Ilse lief auch wieder.

Und weiter.
    Ruhe! Sagte Hans. Es schien ihn zu erregen, dass er eine Anweisung erteilen konnte. Der Bus hielt, Hunde bellten, durch die Ritzen kam zu helles Licht, das musste wohl die Grenze sein. Der antiimperialistische Schutzwall, die Trennung zwischen Gut und Böse, der Schießbefehl. Wie leicht es manchen fällt, das Töten, wie gierig sie waren, in eine Position zu gelangen, von der sie später sagen können: Ich habe nur Befehlen gefolgt. Und das gerne. Es war doch so interessant, das legitime Benutzen einer Schusswaffe, ein Rausch der Macht, ein Tanz der Hormone, ein klein wenig Unsterblichkeit beim Auslöschen unwerten Lebens. Ein Lied der Schusswaffe. So wunderbar sachlich, ein Knopf, ein Hahn, ein Schuss, und dann fällt der einfach um, der tote Hund.
    Alle aussteigen, Papiere bereithalten, Gepäck öffnen, keine Sätze, keine Stimmen, lautes Schnappen, nach Autorität schnappen, nach Raum, die Beine immer gespreizt im Sitzen, die Arme über die Lehnen gehängt; wenn es in ihrer

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