Vielen Dank für das Leben
sich um das Alphatier handelte. Genosse Toto, angenehm, Genosse Raimund, Händedruck, fest.
Raimund sah absolut durchschnittlich aus, ein Mann um die fünfzig, mit schütterem Haar und groben Falten um den Mund. Er hatte gelesen, dass sich Dominanz durch einen festen Händedruck und einen starken Blick manifestiert. Im Hintergrund wurde weiter uriniert. Wir unternehmen ständig Studienreisen zu unseren Genossen, die das Glück haben, in einem sozialistischen Staat zu leben. Sagte Raimund auf Totos Schweigen hin, dieses Schweigen, das man als tief, vielsagend und bedrohlich empfinden konnte. Wir besuchen Versammlungen der sozialistischen Arbeiterpartei, und wir bringen unseren Genossen atmungsaktive Leinenkleidung. Raimunds Blick führte, wenn er sprach, ein wenig über die Menschen, als fixiere er einen Punkt am Horizont. Nach verrichteter Ausscheidung fand sich die Gruppe wieder um ihr Zentrum, Raimund, und schaute Toto an. Was machst du hier, in der Dunkelheit, fragte Raimund, und Toto beschloss, mit diesen freundlichen Kommunisten zu reden, er erzählte seine Geschichte, in der das Waisenhaus, die betrunkenen Pflegeeltern und der Weg ins Nichts eine dramaturgische Rolle spielten, frei von Emotionen, und er versetzte damit die kleine Reisegruppe in eine emotionale Schwingung. Da stand ein ausgewachsenes Arbeiter- und Bauernkind vor ihnen, ein kleiner Marx, ein Babylenin, der in seinem doch sehr überlegenen System zu scheitern drohte. Die Frauen berührten zart die Arme des sozialistischen Waisenkindes, die Männer nickten mitfühlend, in einer Art, die sagte: Ja, ich habe auch schon viel mitgemacht. Ich habe zwei Weltkriege überlebt, und mein Vater hat mich geschlagen, aber dennoch bin ich ein empfindsamer Mann geblieben, der durchaus trostspendend nicken kann.
Raimund erhob das Wort erneut: Es gibt keine Zufälle, Genosse. Du brauchst Hilfe. Wenn es dir recht ist, könnten wir in der Gruppe diskutieren, ob wir dich mitnehmen, über die Grenze. Raimund reckte sich ein wenig, er reichte Toto nicht ganz bis zur Brust, ein Umstand, der ihn, trotz seiner rhetorischen Überlegenheit, zu verunsichern schien. Eine Frau, deren Gesicht an ihr hing wie ein Tuch, mischte sich sehr eilig ein: Wir würden ja alles geben, um hier wohnen zu dürfen, aber wir werden zu Hause gebraucht. Toto nickte, er wollte sich nicht in die Menschen einsehen, er wollte sie nicht verstehen, er wollte nur irgendwo anders sein. Weggehen wäre gut. Er war müde, und hungrig war er auch. Die Frau, die sich durch besonders mitfühlende Berührungen ausgezeichnet hatte, war bei Toto geblieben, während die Gruppe ein paar Schritte entfernt in der Dunkelheit stand, um über sein Schicksal zu diskutieren. Die Frau, es war die Ilse, starrte unverwandt zu Toto. Was hatte ihr das Leben nur angetan? Da waren doch alle Gliedmaßen augenscheinlich vorhanden, die Frau war wohlgenährt, aber irgendjemand schien ihr übel mitgespielt zu haben. Diese Frau, erkannte Toto, war auf der Welt, um anderen auf die Nerven zu gehen.
Aus dem Hintergrund Fetzen der Diskussion. Die Sondersitzung ist eröffnet. Das Wort hat Genosse Raimund.
Genossen und Genossinnen! Ich möchte ein paar Worte zur Befreiung des uns zugelaufenen Genossen ausführen. (Widerspruch.)
Es wird mir von der Gruppe der internationalen Marxisten also verweigert, eine Erklärung abzugeben. (Zustimmung.)
Ich bin der Überzeugung, dass die Befreiung des Genossen geschehen muss, und ich bitte die Anwesenden darüber zu entscheiden, ob es geschehen kann oder nicht.
Im Vordergrund redete die Frau auf Toto ein. Er verstand nur einzelne Worte. Selbstversorger, ökologisch, marxistisch, Widerstand, Bourgeoisie.
Jeder außer Toto hätte die Situation vermutlich merkwürdig gefunden, der aber fühlte sich wohl, gab es doch etwas Neues zu betrachten. Toto sah sich die Gruppe an. In Ruhe, jedes einzelne Gesicht. Sie machten ihm keine körperliche Angst, keine Panik, wie man sie empfinden mochte, wenn man einem Bären gegenübersteht, aber ein leises Grauen empfand er dennoch. Ich bin der Hans, sagte einer der Männer. Nachdem die Gruppe sich beraten hatte und alle ihm erfreut zunickten, war er, der Hans, auf Toto zugekommen und schüttelte ihm die Hand.
Also bin ich in der Gruppe aufgenommen? Fragte Toto.
Selbstverständlich nicht, sagte der Hans, wir haben erst einmal darüber entschieden, ob wir dich mit in den Kapitalismus nehmen. Ein schwieriger Entscheid, da du ja eindeutig in der richtigeren Welt zu
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