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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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Macht steht, sich unerfreulich zu betragen, ergreifen Menschen diese Gelegenheit doch immer. Toto gebrach es an männlichen Vorbildern, die er hätte akzeptieren können, ein Mann braucht doch ein Vorbild, einen weisen Rabbi, der die Überlegenheit symbolisiert, so wollen sie werden, die kleinen Jungen, wie der geistige Führer, so mächtig und klar wollen sie sein, und Toto hatte nur Frau Hagen gehabt, die ihn hätte prägen, die die Schuld der Frauen an all dem Elend wieder einmal hätte beweisen können, doch sie war ohne jeden Einfluss geblieben.
    Draußen brüllten Soldaten Anweisungen, die Hunde ließen das Bellen nicht, und in Toto herrschte eine Angst, die sich an der Vorstellung von Gefängnissen nährte. Die eiserne Maske und ein Verlies über dem Meer. Um sich zu beruhigen, stellte er sich den Schwimmunterricht vor, an dem er früher teilhaben durfte. Eine Reihe von frierenden fünfjährigen Heimkindern, die noch nicht einmal von ihren Eltern gelobt werden, das tiefe Becken im Freibad, Angst, leichter Regen, ein Kind nach dem anderen muss ins Wasser springen, eine lange Stange wird ihm vors Gesicht gehalten, an die es im Notfall des Untergehens greifen kann. Keines greift nach der Stange, sie paddeln wie kleine Hunde, und nach einer Stunde können die Kinder schwimmen, was Toto im Fall seiner Kerkerhaft in einem Verlies zugutekommen würde. Toto überlegte, ob er aus der kleinen Erinnerung eine Lehre fürs Leben ableiten konnte, aber es fiel ihm keine ein. Er atmete kaum, eine Technik, die er entwickelt hatte, um die Realität aus seinem Organismus zu drängen. Nach Minuten oder Stunden fuhr der Bus wieder an, vermutlich direkt in die Haftanstalt. Hans schwieg, Toto schwieg, die Businsassen waren wohl tot. Was gab es da auch zu singen, auf dem Weg in eine sozialistische Haftanstalt. Toto fand sich mit der neuen Situation so schnell ab wie mit allem, was ihm bisher begegnet war. Er war nun in einem Alter, da er Dinge nicht nur geschehen ließ, sondern er eine Philosophie brauchte. Einen Subtext, der ihm das Gefühl höheren Sinnes gab. Wichtig sind nur die Momente, in denen etwas geschieht; wenn man sie ohne Hinblick auf eine zukünftige Vergangenheit und eine damit verbundene Wertung erlebt, verliert alles seine Traurigkeit. Hatte Toto notiert und sich so lange erhaben gefühlt, bis er wieder unter Menschen war und sich vorstellte, dass jeder so eine kleine Erleuchtung hatte, jeden Tag, und dass es doch nichts änderte an der allgemeinen Albernheit.
    Der Bus fuhr durch die Hölle, die war geräuschlos, Toto stellte sich vor, wie an der Grenze Wachmänner lauerten, deren derbe Hände zärtlich russische Maschinengewehrläufe umschlossen.
    Wenig später schlug erneut ein Hund an. Der Bus hielt, das Versteck wurde von außen geöffnet, Toto unterließ es, Luft zu holen, bis Hans ihn in die Seite stieß. Dann kroch er immer noch nicht atmend aus dem Unterboden, fast schon wollte er die Hände über den Kopf nehmen, in Erwartung von bewaffneten Truppen der Friedenskämpfer, doch er sah sich nur einer sehr müden englischen Bulldogge gegenüber. Die Kommunisten klatschten, sie klopften Toto auf die Schulter, die Frauen schienen ihn in übertrieben gieriger Art zu mustern, dann trugen alle ihre Leinentaschen in ein Gebäude, das wie ein altes Schulhaus wirkte. Das ist ein altes Schulhaus. Sagte Hans. Gepäck hast du ja keins, ich zeig dir, wo du wohnen kannst. Toto folgte ihm in das Gebäude, das einen sehr feuchten, ungeheizten Eindruck machte. Aber das kannte Toto, das Feuchte, Kalte, er hatte das Gefühl, nirgends gab es einen anderen Zustand für seinen Körper.
    Das also war der schöne Westen, von dem alle geträumt hatten. Ein wenig enttäuschend, auf den ersten Blick, denn auch hier wurde die Straßenbeleuchtung sparsam eingesetzt, keine Kaugummiautomaten standen am Wegesrand, der Boden war nicht mit Jeans ausgelegt, um die Schritte zu dämpfen. Der Westen! Toto summte das Wort, so lange, bis sein Körper mit ihm erfüllt war, bereit, ein außerordentliches Gefühl aufzunehmen.
    Dass alles sich immer erbärmlicher anfühlen muss als in der Vorstellung, alles immer hinter der Erwartung zurückbleibt, das ist ja nicht auszuhalten. Toto bekam ein Zimmer zugewiesen, das er alleine bewohnen konnte, er war müde und hungrig, überdreht und verspannt. Hans brachte Bettwäsche und zeigte Toto das Bad, das zwar feucht war, aber über fließendes Warmwasser verfügte. Das war Toto unbekannt, ein heißes Wasser, das

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